nd-aktuell.de / 20.10.2003 / Politik

Spekulationen um den Euro

Regierung legt »Programm der Grausamkeiten« vor

Jaroslav Polivka, Prag
So viel verdienen wie der Durchschnitt in der Europäischen Union? Wer im Beitrittsland Tschechien die Vierzig überschritten hat, dürfte das nicht mehr als Berufstätiger erleben, wenn die Expertenprognosen stimmen, mit denen die Presse jetzt Hoffnungen auf baldige Gleichheit kräftig dämpfte.
Dreißig Jahre dauert es noch mindestens, bis etwa ein Arzt oder ein Busfahrer in Prag und in Berlin oder Paris auf etwa gleichem Niveau entlohnt werden. Da tröstet es nur mäßig, dass sie dann gewiss alle Euro aufs Konto überwiesen bekommen. Bis die Gemeinschaftswährung Prag erreicht hat, und das war die zweite Nachricht dieser Tage, werden noch sechs, womöglich gar sieben Jahre vergehen. Das sind rund zwei Jahre mehr als etwa bei den polnischen, slowakischen und ungarischen Nachbarn oder auch in den neuen baltischen EU-Staaten. Der diese Tage von der Regierung beschlossene längere Fahrplan zur Einführung des Euro ist jedenfalls ein Zeichen dafür, dass man an der Moldau längst aus der in den 90er Jahren beanspruchten Rolle des Reformmusterschülers geschlüpft ist. Der sozialdemokratische Premier Vladimir Spidla bestätigt damit wieder einmal seinen Ruf als nüchterner Pragmatiker. Wie die meisten Ökonomen und Finanzexperten sieht auch seine aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen gebildete Koalition noch Handlungsbedarf bei der Anpassung der tschechischen Wirtschaft an die Euro-Zone. So ist etwa der Rückstand bei der Arbeitsproduktivität weiter erheblich - worauf sich auch die Prognosen mit der späten Angleichung der Einkommen an die EU stützen -, und viele Unternehmen sind noch nicht fit für den Konkurrenzkampf auf dem offenen europäischen Markt. Gar nicht zu reden davon, dass die staatliche Verschuldung bis zur Einführung des Euros systematisch abgebaut werden muss. Spidla und sein Kabinett bringen dafür derzeit mit einiger Mühe ihr Reformpaket durch das Parlament, das wegen seiner drastischen Einschnitte bei den Leistungen für Rentner oder Langzeitarbeitslose auch »Programm der Grausamkeiten« genannt wird. Die europäische Zentralbank soll ab Mai nächsten Jahres bei allen neuen Mitgliedern mit jährlichen Berichten kontrollieren, wie weit sie ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik für den Euro kompatibel machen. Durch einen bis zu zwei Jahre längeren Übergang will Spidla mit seinem Kabinett auch einen besseren Kurs der tschechischen Krone zum Euro durchsetzen, was für die Umstellung von erheblicher Bedeutung wäre. Derzeit bekommt man für einen Euro 31 bis 32 Kronen. Ganz Zuversichtliche halten es sogar für möglich, dass sich der Kurs bis 2009 auf 1:25 drücken lässt, skeptische Banker gehen dagegen eher von 1:30 aus. Möglicherweise wird der definitive Kurs irgendwo dazwischen liegen; das genau entscheidet unter anderem darüber, wie viel die Spareinlagen der tschechischen Bürger dann in Euro wert sein werden. Die Normalverbraucher erwarten das Ende der Krone ohnehin mit sehr gemischten Gefühlen. Sie haben aufmerksam die Aufregung bei den deutschen und österreichischen Nachbarn verfolgt, wo der Euro schnell zum Teuro wurde. Hiesige Zeitungen berichteten gern über Händler in Deutschland, die ihre Preise angeblich von D-Mark auf Euro 1:1 umgestellt hätten. Solchem Verdacht ist natürlich auch der tschechische Handel vorauseilend ausgesetzt. Der weist das brüsk zurück und kalkuliert dafür schon mit besonderen Chancen im Grenzgebiet zu Deutschland und Österreich. Da viele Preise auch 2009 hier noch niedriger als bei den Nachbarn sein werden, die aber nicht mehr tauschen müssen, dürften noch mehr von ihnen als bisher schon in größerem Stil jenseits der Grenze einkaufen. Wer davon nicht persönlich profitieren kann, darf sich mit der Aussicht entschädigen, dass dann auch tschechische Touristen bei Reisen innerhalb der Euro-Zone nicht mehr mit ihren Kronen zum Wechselschalter müssen.