Nichts Neues im Bilderstreit

»Ostkultur«. Was bleibt, soll bleiben, für wen? - eine Podiumsveranstaltung in Berlin

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Anspruch auf Deutungshoheit in Sachen Kunst nach der deutschen Wiedervereinigung wurde 1990 auf eine kurze Formel gebracht: von dem seit 1956 im Westen Deutschlands lebenden Maler Georg Baselitz. Er prägte das inzwischen nicht mehr so gern erinnerte, zum geflügelten Wort und Auftakt-Geber des Ost-West-Kunststreits avancierte »Die-im-Osten-Gebliebenen-sind-alles-Arschlöcher«. Eine derart fäkale Ware würde man heute auf dem Kunstmarkt=Markt der Eitelkeiten nicht mehr so offen feilbieten, das unverhüllt Utilitaristische hat sich inzwischen ins feinere Gewand des Akademischen gekleidet, doch noch immer besteht für Geltenwollendes aus dem Osten Rechtfertigungszwang. Das lässt sich selbst an Formulierungen staunender Anerkennung ablesen, da Sprache ihrem Wesen nach ja verräterisch ist: Die Kunst in der DDR, wie sie in der Nationalgalerie gezeigt wird, habe durch diese Ausstellung ihre »Nobilitierung« erfahren. Gewiss, die Nationalgalerie ist ein Ort von großem Gewicht für die Meinungsbildung sowohl der Fachwissenschaft als auch der Öffentlichkeit. So gesehen, wird mit der Ausstellung »Kunst in der DDR. Eine Retrospektive der Nationalgalerie«, die seit 25. Juli und noch bis zum 26. Oktober mit rund 400 Gemälden, Skulpturen, Collagen, Zeichnungen, Fotografien und Filmen von 145 Künstlern auf 40 Jahre Kunst in der DDR zurückblickt, ein maßstabsetzender Richterspruch gegeben. Erste Fingerübungen, den westlichen Exotenblick auf Kunst im Osten Deutschlands aufzuweiten, das heißt als Teil der Nationalkultur einzuordnen, machte die Nationalgalerie 1993 in ihrem Domizil am Potsdamer Platz mit dem »Dazwischenhängen« von einigen Meisterwerken aus der Nationalgalerie-Ost und der Westberliner Sammlung der Nationalgalerie in die ständige Ausstellung. Doch was als natürlicher Vorgang gedacht war, rief das Flammenhochschlagen im bis dahin schwelenden Streit über den Stellenwert der Kunst aus der DDR hervor. Das Deutsche Historische Museum blies daraufhin mit zwei Ausstellungen in den Brand: 1995 konturierte sie mit »Auftrag Kunst 1949-1990« und 1997 mit »Bohème und Diktatur in der DDR« gesellschaftliche, kulturpolitische Kontexte zur Entstehung von Kunst in der DDR. Doch zeichneten sie sich mehr durch Abstempeln und Aburteilen denn durch Lieferung von Wissenszuwachs aus. Man war dabei, mit dem Staat, in dem sie entstanden war, die Kunst aus dem Bildgedächtnis zu löschen. Aufs allerbeste wurde 1999 in Weimar das westliche Klischee von der DDR als Stasi- und Spreewaldgurken-Staat bedient: mit dem Kunst und Künstler aus dem Osten Deutschlands diffamierenden Annex zur Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne 1890-1990«. Das ist der Zusammenhang, in dem sich die gegenwärtige Ausstellung sieht. Und sie soll zugleich als nachholende Ergänzung der Nationalgalerie-Schau »Die Kunst in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1985« verstanden werden. Keine hämische Amüsiervorlage für Ostalgie-Besessene, sondern seriös, ohne didaktischen Zeigefinger und allein auf die Kunst konzentriert, von ostdeutsch sozialisierten, die Kunstentwicklung in der DDR Jahrzehnte hautnah begleitenden Kuratoren mit ihrem subjektiven Blick zusammengestellt, konnte die Ausstellung bis vergangenen Freitag 170000 Besucher anziehen. Das ist - nach der noch erfolgreicheren Picasso-Ausstellung vor einigen Jahren - die in der Geschichte der Nationalgalerie höchste Besucherzahl. Auch das Presseecho zeugt von außergewöhnlichem Interesse weltweit. Anfang August veranstaltete die Stiftung Schloss Neuhardenberg anlässlich der Ausstellung eine Konferenz »"Bilderstreit". Die Debatte um die Kunst aus der DDR«. Am Samstagabend lud die Nationalgalerie selbst, in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung, zur Podiumsdiskussion »"Ostkultur". Was bleibt, soll bleiben, für wen?«. Gingen die Tagungsbeiträge in Neuhardenberg noch in die Tiefe, skizzierten diskussionsfördernd gesellschafts- und kunsthistorische Entwicklungsgrundlagen für künstlerische Ansätze bis zum Detail von Werkzusammenhängen, blieb die Podiumsdiskussion im Mies-van-der-Rohe-Bau ohne jeden Zugewinn für die intellektuell-künstlerische Debatte. Lediglich hörte man wiederholt solche Vorwürfe an die Ausstellungsmacher wie, ihre Auswahl weise Lücken auf, bevorzuge bestimmte regionale Kunstzentren der DDR, zeige nicht den Kontext, in dem die Kunst entstand. Ausstellungskurator Eugen Blume, Leiter der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof Berlin, verteidigte die Konsequenz, mit der er und Kurator Roland März außerkünstlerische Kriterien ausgenommen haben, und betonte die natürliche Schwierigkeit, die Frage »Was bleibt?« zu beantworten. Ihnen ging es darum, zu zeigen, was ist bzw. was war in dem »historischen Gesellschaftsraum DDR« und seinem Kunstsystem. Erst mit der Zeit werde sich herausstellen, was Gültigkeit in sich trug, erst spätere Generationen werden entscheiden, was für sie Kunst ist. Lag es an der unverständlich unverständigen Podiumsleitung, lag es an der Fragestellung selbst - sie konnte nicht beantwortet werden. Einzig der Schriftsteller und Publizist Friedrich Dieckmann stellte klar, dass der Begriff »Ostkultur« »fatal« ist. Was die Ausstellung zeigt und meint, sei deutsche Kunst, die unter besonderen politischen Bedingungen entstand. Und sie sei nicht als ästhetische Kanonisierung zu begreifen, sondern als Kulturerbe. Fazit: Die Museen, die über ähnliche Schatzkammern an Kunst aus der DDR wie die Nationalgalerie verfügen, sind aufgefordert, die nächste Ausstellung zu machen.
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