Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Zwei Drittel in der Festung

  • Lesedauer: 2 Min.

Gestern gab s in Bonn eine Sondersitzung des Kabinetts und eine schöne Bescherung. Das Arbeitslosengeld wird gekürzt und die Sozialhilfe bis Mitte 1995 eingefroren. Die drastischen Einschnitte in den Sozialbereich sind der zweite Streich einer ganzen Orgie.

Landauf-, landab war zu hören, daß die faktische Kürzung der Sozialhilfe deshalb notwendig sei, weil die Empfänger sich in der Hängematte räkeln würden. Eine fette Lüge! Denn: In der zweiten Hälfte der 80er Jahr sank die Zahl der arbeitslosen Sozialhilfeempfänger, obwohl die Leistungen erhöht wurden...

Richtig ist hingegen, daß die Bürger bis zur Höhe des Existenzminimums besteuert werden können - das sich am Sozialhilfesatz orientiert. Je niedriger dieser Satz, desto mehr Leute kann man zur Kasse bitten.

Mit „Haushaltkönsolidierung“ hat das alles nichts zu tun. Aufgekündigt wird der Sozialstaatkompromiß. Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Renten und andere Leistungen waren an steigende Löhne und Gehälter aus Erwerbsarbeit gekoppelt. Jetzt passiert Abkopplung. Dieser Staat entledigt sich Schritt für Schritt der Fürsorge für ein Drittel der Gesellschaft.

Schlimm, aber wahr: Das reiche Deutschland schottet sich ab. In der BRD kam von 1975 bis 1991 ein Asylbewerber auf 782 Einwohner. In der Burg entledigt man sich der Armen und Schwachen, schubst sie von den Zinnen. Die Feste „Standort Deutschland“ soll hochgerüstet werden.

Die Koalition baut auf das Zwei-Drittel-Potential der immer Wenigeren, die immer mehr verdienen. Immer mehr werden aus dem Erwerbsarbeitsprozeß geschleudert. Aber auf kulturellem, im sozialem, ökologischem Gebiet gibt es einen ungeheuren Arbeitsbedarf. Wenn die reiche Bundesrepublik nicht in der Lage ist, diese gesellschaftlich notwendige Arbeit zu finanzieren, stellt sich die notwendig die Frage nach einer anderen Gesellschaft.

HELFRIED LIEBSCH

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal