nd-aktuell.de / 12.08.1993 / Politik / Seite 7

Arbeitervertretung im Investitionsparadies?

PEIKBRUHNS, Windhoek

ND-Karte: Wolfgang Wegener

Streikmeldungen sind in Namibia selten. Die Gewerkschaften verfügen nicht über Rücklagen, um Streikenden wenigstens ein Existenzminimum für die Zeit des Verdienstausfalls sichern zu können. Und auch die Geschichte der eigenen Bewegung macht es ihnen schwer, ihre Forderungen energisch zu vertreten.

Eine Gewerkschaftsbewegung gibt es in Namibia seit 1970. Der Dachverband ist die

National Union of Namibian Workers (NUNW), die Anfang der 70er Jahre - zu Zeiten der südafrikanischen Kolonialherrschaft - im Gefolge einer Streikwelle stark wurde. Mehr als 25 000 Arbeiter traten damals in den Kampf. Doch wurde die Gewerkschaft daraufhin systematisch zerschlagen, ihre Mitglieder wurden verfolgt, 1980 mußte die Gewerkschaftsführung ins Exil gehen. Zwangsläufig verfochten die Gewerkschafter gleiche Ziele und Ideen wie die

Südwestafrikanische Volksorganisation {SWAPO), die für, die Befreiung des Landes von der südafrikanischen Vorherrschaft kämpfte. Lange Zeit war der Generalsekretär der Gewerkschaft, John Ya Otto, gleichzeitig Minister für Arbeit im damaligen SWAPO-

Schattenkabmett. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1990 und der Übernahme der Regierung durch die SWAPO müssen die Gewerkschaften jedoch auf eigenen Beinen stehen und sich notfalls auch gegen die eigene Partei wenden.

Heute vereinigt die Dachorganisation acht Einzelgewerkschaften, die behutsam, aber bestimmt den Kampf für die Interessen der Arbeiter führen. Die größte und älteste Gewerkschaft rief ihre Mitglieder in den Diamantenminen im vergangenen Jahr zum

Streik auf. Sie wollten die körperlich sehr schwere Arbeit angemessen bezahlt haben. Die Gewerkschaft der Angestellten im öffentlichen Dienst zeigte kürzlich klare Opposition gegen die Rationalisierungspolitik der Regierung im Gesundheitswesen.

Jüngste Gewerkschaft ist die der Farmarbeiter. Viele Farmarbeiter Namibias sind faktisch immer noch Leibeigene - abgeschnitten von Familie, Au-ßenwelt und Menschenrechten. Deren Interessen zu schützen ist nicht zuletzt wegen der Entfernungen hierzulande eine enorm schwierige Aufgabe. Und wie will man Monatsbeiträge von Menschen verlangen, die gar kein Geld bekommen, sondern in. Naturalien bezahlt werden?

Die NUNW begrüßt ausländische Investitionen in Namibia. Auch den Arbeitern ist die Notwendigkeit des Aufbaus einer wirtschaftlichen Infrastruktur bewußt. Sie hoffen,

Haß Namibias Ökonomie mit

Hilfe ausländischer Investoren erstarkt. Also geht es dem Dachverband darum, daß solche Investitionen nicht durch illusorische Lohnforderungen blockiert werden. Außerdem setzt er darauf, daß die Investoren aus Ländern kommen, ? in denen der Konflikt zwischen Arbeiterschaft und Arbeitgebern lange Tradition hat, daß die Unternehmer also ein Interesse an geregelten Beziehungen zwischen den Konfliktparteien auch in Namibia haben. Eben darum geht es den Gewerkschaften: Einerseits müssen sie den Arbeitern deutlich machen, daß deren Chance in der Organisation besteht, andererseits müssen sie sich als Verhandlungs- und Vertragspartner der Unternehmer profilieren.

Auch die Arbeiterschaft im „reichen“ Norden muß sich dieser Probleme in Ländern wie Namibia bewußt werden. Was machen zum Beispiel die Beschäftigten eines deutschen Unternehmens, wenn in der obersten Etage beschlossen wird, die Produktion in ein Dritte-Welt-Land zu verlagern, da die Löhne dort so niedrig sind - auch weil die Arbeiter dieses Landes vorher keine internationale Solidarität erfahren haben?