nd-aktuell.de / 12.08.1993 / Kultur / Seite 12

Vollgestopft vom Keller bis unters Dach

Auch Karl Friedrich Schinkel, der sich im Sommer 1826 an der Themse aufhielt, hat diese Londoner Sehenswürdigkeit besonderer Art nicht versäumt: das Wohnhaus John Soanes, eines der bedeutendsten Architekten Englands. Im Jahre 1940 ging vor dem Haus eine deutsche Luftmine nieder, die beträchtlichen Schaden anrichtete. Der Wiederaufbau nach 1945 geschah unter mancherlei Kompromissen. Besonders schwierig war die Wiederherstellung der Dachzone mit ihren verglasten Kuppeln, Gewölben und Decken. So blieb vieles zunächst Provisorium, konnte aus Geld- und Materialmangel nicht gleich wieder rekonstruiert werden. Dies geschieht nun seit Ende der achtziger Jahre. Haus Nummer 13 ist mit einem Kostenaufwand von zwei Millionen Pfund inzwischen weitgehend wieder inseinen Originalzustand versetzt worden. Bis 1995 soll die Restaurierung des Komplexes abgeschlossen sein.

Soane lebte in Lincoln's Inn Fields, einem kleinen Park zwischen Kingsway und

Chancery Lane im Herzen Londons, von 1794 bis zu seinem Tode im Jahre 1837, zuerst in Haus Nummer 12, später erwarb er auch die beiden Nachbargrundstücke Nummer 13 und 14 und formte daraus „auf die abenteuerlichste Weise“ (Schinkel) ein architektonisches Gebilde, das ihm zum Wohnen, Arbeiten, Unterrichten, denn er war auch Lehrer an der nahegelegenen Kunstakademie, und zur Aufbewahrung seiner diversen Sammlungen diente.

Als besonders sehenswert erwähnt Schinkel in seinem Reisetagebuch - und diesem Urteil kann man auch heute noch beipflichten - einen ägyptischen Sarkophag, mehrere Gemälde von William Hogarth, darunter die berühmte Folge „Das Leben eines Wüstlings“, und eine Venedigansicht von Canaletto. Jener in der Tat eindrucksvolle Alabastersarkophag des Pharaonen Seti I. wurde von Soane 1825 für die enorme Summe von 2 000 Pfund erworben und einem begeisterten Publikum drei Tage lang, von Kerzen und Öllampen üppig illumi-

niert, präsentiert. Er steht seitdem unter einer Kuppel aus Glas, das ursprünglich farbig war und, wie es in einer Beschreibung von 1835 heißt, „most magical eff ects“ machte auf den Urnen, Skulpturen und den zahllosen architektonischen und plastischen Bruchstücken, von Soane auf Balustraden und Konsolen dichtgedrängt ringsum verteilt. Hier, im ideellen Mittelpunkt dieser einzigartigen Künstlerbehausung, wird einem anschaulich klar, was Soane unter „Poesie der Architektur“ verstand, einer Architektur, die sich mit Plastik, Malerei und nicht zuletzt mit dem Licht, dessen Wirkungen im ganzen Haus verteilte Spiegel verstärken, zu einer die Phantasie anregenden pittoresken Gesamtwirkung verbindet.

Gesammelt hat Soane sein Leben lang, nicht nur Kunstgegenstände, auch Bücher, Autografen, Memorabilia aller Art, darunter auch seltsame Objekte wie eine Pistole und eine in einen goldenen Ring gefaßte Locke Napoleons. Wie seinerzeit Schinkel

steht man fasziniert und ein wenig fassungslos in der Enge dieses von unten bis oben vollgestopften Hauses, das eher einer Schatzkammer als einem Museum gleicht. Um seine Hinterlassenschaft vor den Wechselfällen der Geschichte, vor allem vor seinen Erben zu schützen, hat Soane kurz vor seinem Tod verfügt, daß sein Museum so erhalten werden sollte, wie er es hinterlassen würde. Ein „Act of Parliament“ hat diesen Wunsch in einem Gesetz festgeschrieben, und daran ist bis heute nicht gerüttelt worden.

Alles, was dieser Sammeleifer zusammenbrachte, war von Anfang an für die Öffentlichkeit bestimmt. Soane betrachtete seine Sammeltätigkeit wie sein Schaffen als Architekt, ja sein gesamtes Dasein, als eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse. In seinem Museum sollte sich seine Sicht, die Sicht eines gro-ßen Mannes, auf Vergangenheit und Gegenwart spiegeln, zur Belehrung und Erbauung der Zeitgenossen und der Nachwelt.

REINHOLD BOHNERT