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  • Brandenburg
  • Sparhaushalt bedroht Gesundheitsprojekte mit Kahlschlag

Männerriege schafft Frauenfirlefanz ab

  • Lesedauer: 3 Min.

Viele Berliner Frauengesundheitsprojekte fürchten, daß sie ab 1. Januar 1994 Hilfesuchenden ihre Türen verschließen müssen. Obwohl in den ursprünglichen 94er Haushaltsplan der Stadt schon aufgenommen, wurden ihnen jetzt infolge der Sparbeschlüsse der Landesregierung nachträglich im Etat der Senatsverwaltung für Gesundheit die Mittel gestrichen. Insgesamt 1,123 Millionen Mark - bei einem Etat dieser Verwaltung von rund 770 Millionen.

Als „staatliche Willkürmaßnahme gegen Frauen“ kritisierte Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus, gestern vor Journalisten die jetzt bekanntgewordenen Streichungen von Zuwendungen. Die Frauengesundheitsproj ekte seien gezielt und systematisch ausgesucht worden. Es sei bekannt, daß es beim Gesundheitssenator intern heiße, diese Projekte seien „Firlefanz der Rot-Grünen aus den 70er und 80er Jahren“.

Willkür, aber auch Ignoranz und Unwissenheit einer Männerriege um den Gesundheitssenator Luther. Verschiedene Frauenprojekte, die teils bis zu 20 Jahren aktiv sind, machten darauf aufmerksam, daß sie mit gesundheitlicher Prävention dazu beitragen, beträchtliche Kosten zu sparen.

Durch Information und Beratung würden beispielsweise überflüssige Medikamenteneinnahmen und medizinische Eingriffe vermieden oder lange Krankenhausaufenthalte reduziert.

In ihrer Existenz bedroht sieht sich das seit 1979 vom Senat geförderte Feministische Frauen Gesundheits Zentrum (FFGZ) e.V., das im vorigen Jahr von 6 000 Ratsuchenden in Anspruch genommen wurde. Zu den zwei Projekten - gesundheitliche Prävention vor allem bei ungewollter Kinderlosigkeit und gesundheitliche Folgen sexueller Gewalt - gab es 60 Veranstaltungen im FFGZ, 80 in anderen Einrichtungen, 500 Einzelund Gruppenberatungen, Kurse, Fortbildungen, Öffentlichkeitsarbeit ... Jetzt, da nach dem § 218-Urteil besonders Aufklärung nötig ist, soll

die Unterstützung auf Null gekürzt werden. Ist gerade das gewollt?, fragte Martina Schröder vom FFGZ.

Das Geburtshaus für eine selbstbestimmte Geburt e.V., das seit 1983 Schwangere und Frauen mit Kindern bis zum 2. Lebensjahr betreut, führt monatlich etwa 300 Beratungen durch, darüber hinaus Gruppengespräche und Informationsveranstaltungen. Fallen die Mittel, die im laufenden Jahr 154 000 Mark betragen, 1994 weg, muß die Beratungsstelle schließen.

Etwa 2 000 Frauen und 3 000 Männer suchten bislang jährlich Kontakt zum Kommunikations- und Beratungszentrum homosexueller Frauen und Männer e.V. in der Kulmer Straße in Schöneberg, das seit 1980 arbeitet. Einzige Anlaufstelle für Lesben in Berlin und der weiteren Region, wären Zehntausende von der durch die angekündigten Mittelkürzungen entstehenden psychosozialen Versorgungslücke betroffen, erklärte Maria Brunsen von der Lesbenberatung.

Für 40 000 Südneuköllner fiele die letzte stadtteilbezogene Gesundheitsversorgung weg, streicht die Senatsverwaltung die Mittel für die Selbsthilfe-Informationsstelle und Patientenselbsthilfe im Gesundheitszentrum Gropiusstadt.

Stark reduzieren müßte das Projekt Dick & Dünn sein Angebot für Menschen mit Eßstörungen, das im Jahr rund 1 000 Beratungen durchführt und schon 45 Selbsthilfegruppen gründete. 95 % der Hilfesuchenden sind Frauen.

Fakt ist, die Landesregierung unterliegt einem Sparzwang. Bei den Frauenprojekten anzusetzen, nannte Bernd Köppl eine Fehlentscheidung des Senats, vor der rechtzeitig zu warnen sei. Wo aber dann sparen? Zum Beispiel, bietet Köppl an, gebe es noch „Luft“ in Krankenhäusern im Westteil. Würde man die nach den fehlenden 1,125 Millionen Mark durchkämmen, dort wären sie zu finden.

Auf die Reaktion der Westkrankenhäuser braucht man kaum gespannt zu sein.

KARIN NÖLTE

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