nd-aktuell.de / 12.08.1993 / Kommentare / Seite 18

Nawrocki nicht olympiareif

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im DGB erklärte zu kritischen Äußerungen des Geschäftsführers der Olympia GmbH, Axel Nawrocki, über Berliner Lehrer:

Verstärkt wird gegenwärtig die Forderung an Lehrerinnen herangetragen, für die Ausrichtung der Olympischen Spiele in Berlin bei den Schülerinnen zu werben und ihre Begeisterung hierfür zu wecken. Zuletzt hatte Berlins Ober-Olympionike Axel Nawrocki die Berliner Lehrerinnen diesbezüglich heftig kritisiert: „Gerade in Berlin ist ein Großteil der Lehrer der sozialistischen Konflikt-Pädagogik verpflichtet.“

Solche Äußerungen sind nicht olympiareif. Offensichtlich hat beispielsweise Herr Nawrocki, aber auch manche Politikerinnen, keine Ahnung von Schule und ihrem gesetzlichen Auftrag.

Durch das Neutralitätsgebot ist es Lehrerinnen untersagt, einseitig Werbung oder Propaganda für politische Ziele zu machen. Lehrerinnen sind der Verfassung und dem Schulgesetz verpflichtet, nicht aber der Berliner Regierüngspolitik, die unter dem

Motto steht: „Olympia 2000 und alles wird gut“.

Aufgabe der Lehrerinnen ist es, Schülerinnen durch sachliche Information bei der Meinungsbildung zu helfen. Daß deren Urteil über Olympia nicht immer im Sinne des Senats ausfällt, verwundert nicht. Schließlich steht auch mehr als die Hälfte der Berliner Bevölkerung der Olympia-Ausrichtung in der Stadt ablehnend gegenüber. Lehrerinnen dürfen nicht indoktrinieren oder die Schülerinnen bei der Meinungsbildung z.B. durch das bewußte Weglassen von Informationen manipulieren.

Erhard Laube, der Vorsitzende der GEW Berlin: „Komisch, daß Schulsenator Kiemann sich zu dem Unsinn von Nawrocki nicht geäußert hat. Als Sportsenator darf er für Olympia werben. Als Schulsenator hat er dafür zu sorgen, daß die einseitige Beeinflussung von Schülern unterbleibt. Gerade die Lehrer im Osten haben von staatlicher Bevormundung bei der Unterrichtsgestaltung die Nase voll. Zudem brauchen die Berliner Lehrer und Schüler keine neuen Sportpaläste, sondern mindestens 100 neue Turnhallen. Angesichts ständiger Streichungen im Schulbereich verwundert es nicht, daß niemand in Olympia-Taumel verfällt.“