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Thule-Vertriebene verlangen Rückkehr
Prozess vor Dänemarks Oberstem Gericht Mögliche Konsequenzen für die USA-Basis
Die Zwangsumsiedlung der nordgrönländischen Thule-Eskimos vor 50 Jahren - sie mussten der Erweiterung der USA-Basis Thule weichen - wird seit Montag vor dem Obersten Gericht Dänemarks verhandelt.
Vor vier Jahren entschied das dänische Landesgericht Ost, das auch für Grönland zuständig ist, dass der dänische Staat 1953 rund 100 Thule-Eskimos - oder Inughuit, wie sich selbst nennen - zwangsweise von ihren Wohn- und Fangplätzen umsiedelte. In Hochzeiten des Kalten Krieges sollte die USA-Basis Thule bedeutend erweitert werden. Die bis dahin noch in der Umgebung der Basis siedelnden Landesbewohner wurden Hals über Kopf etwa 150 km nach Norden nach Qaanaaq gebracht - angeblich, weil sie es selbst so gewünscht hätten. Doch diese offizielle Lesart war schlicht eine Unwahrheit, wie das Landesgericht Ost vor vier Jahren feststellte. Die Anerkennung des Zwangsmomentes war ein Durchbruch für die Inughuit bei ihrem Streben nach historischer Gerechtigkeit, nach ihrem Recht auf Rückkehr sowie auf finanzieller Kompensation. Ab nächstem Jahr dürfen die Inughuit wieder einen Teil ihres 1953 verlorenen Landes benutzen, doch längst nicht das gesamte Basengelände, das weiterhin eine wichtige Rolle in den US-amerikanischen Sternenkriegsplänen spielt. Auch die Höhe der Kompensation betrachten die Kläger als völlig unzureichend - das Gericht sprach ihnen damals etwa 70000 Euro als Gruppe und durchschnittlich 2700 Euro pro Person zu. Die Kläger hatten 17 bis 30 Millionen Euro für die Gruppe verlangt, die heute weitgehend mit der Gemeinde Qaanaaq identisch ist. Diese Summe soll der Gemeinde zugute kommen, die wegen ihrer isolierten Lage nur sehr wenige Arbeitsplätze sichern kann. In dem Prozess vor dem Obersten Gericht geht es juristisch vordergründig um die Höhe der Entschädigung, aber auch um die vollständige Rückkehr der Vertriebenen an ihre alten Wohn- und Fangplätze. Das würde letztlich die Schließung der USA-Basis bedeuten. Die Anwälte der Inughuit glauben, wenn sie gewinnen, müssten die dänischen Behörden die USA auffordern, aus Thule abzuziehen. Außerdem wird vor dem Obersten Gericht die Frage behandelt, ob die Inughuit eine besondere Bevölkerungsgruppe in Grönland bilden oder Grönländer wie andere auch sind. Die Selbstverwaltungsregierung in Nuuk betrachtet die Bevölkerung als eine weitgehend sprachliche und kulturelle Einheit, was keinen Raum für eine Anerkennung besonderer Stämme lässt. Nuuk folgt damit der Argumentation des grönländisch-dänischen Polarforschers Knud Rasmussen, der damit auch die Zugehörigkeit Nordgrönlands zu Dänemark sichern wollte. Die historischen und linguistischen Quellen weisen jedoch eher auf enge Verbindungen der Inughuit zu Verwandten in der heutigen kanadischen Arktis hin als zu den Inuit in West- und Südgrönland. Während sich auch die dänische Seite bei dem Prozess in Kopenhagen bemüht, die Inughuit zu normalen Grönländern zu machen, die keine besonderen Landrechte haben, wollen die Kläger beweisen, dass es sich um ein eigenständiges Urvolk handelt, das entsprechend den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) besondere Rechte einklagen kann. Es wird erwartet, dass die Richter noch in diesem Jahr entscheiden, wer nach Thule zurückkehren darf und welche Entschädigung die Inughuit für entgangene Einnahmen aus der Pelzjagd, Fischerei und anderen Ressourcen, die sie ein halbes Jahrhundert lang nicht ihrer alten »Schatzkiste« entnehmen konnten, erhalten werden. Die Entscheidung hat auch Bedeutung für die weitere politische Entwicklung auf der Insel. Die Frage von Umsiedlungen ist erneut aktuell geworden, nachdem verschiedene dänisch-grönländische Kommissionen empfohlen haben, die Inselbevölkerung an wenigen Stellen zu konzentrieren, um eine »tragfähige Ökonomie« aufbauen zu können - eine Politik, die bereits in de...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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