nd-aktuell.de / 08.11.2003 / Reise

Zu seinem Glanz kann jeder beitragen

Begegnung mit der berühmten Stifterfigur Uta

André Micklitza
Jede Stadt hat ihre Seele, aber nicht jede spricht zu uns. Hier jedoch kannst Du lesen, hier fühlst Du das Gewordene, hier reden die Steine und hier scheint alles lebendig ...«, schreibt ein Reiseführer über Naumburg im Jahre 1908. Naumburgs Seele ist unbestritten der Dom. Er gehört zu den wertvollsten Baudenkmälern in Europa. Etwas eigenwillig schaut er schon aus, zur einen Hälfte romanisch, zur anderen gotisch. Schon 1213 wurde mit dem Bauen begonnen, bis ins 19. Jahrhundert änderte sich sein Erscheinungsbild immer wieder. Steht man vor ihm, kommt man sich plötzlich ganz winzig vor. Das ändert sich auch nicht, wenn man das Gotteshaus erst betreten hat. Kreuzförmig breitet sich die Gewölbebasilika mit drei Schiffen und zwei Chören aus. Der älteste Teil des Doms St. Peter und Paul ist die romanische Krypta unter dem Ostchor. Sie ist Teil eines Vorgängerbaus und entstand schon um 1170. Sehr selten ist das Kruzifix aus der Romanik. Christus erscheint nicht als Märtyrer, sondern als Triumphator. Dargestellt als Herrscher am Kreuz, ohne Blut und Schmerzen, blickt er aufrecht geradeaus. An seinem Lendenschurz finden sich noch 1000 Jahre alte Farbreste. Im Westchor stehen die zwölf berühmten Stifterfiguren. Sehr lebensnah wurden die verschiedenen Charaktere mit ausdrucksstarken Gesichtern in Kalkstein verewigt, unter ihnen Uta und Ekkehard sowie Hermann und Reglindis. Uta gilt als Inbegriff der schönen deutschen Frau. Würdevoll trägt sie die Lilienkrone, ihr Gewand ist gerafft. Obwohl sie so bekannt ist, heilig gesprochen wurde sie nie. Ekkehard daneben zeigt sich kampfbereit, mit strengem Blick. Beide blieben kinderlos, was im Mittelalter als große Sünde galt. Um dennoch ins Paradies zu gelangen, überließen sie nach dem Tod ihren gesamten Besitz der Kirche. Reglindis, die polnische Königstochter, hat sich ihre jugendliche Frische bis heute bewahrt. Zauberhaft wirkt ihr Lächeln. Hermann war wohl ein knabenhafter, verträumter Mann. Unbekannt blieb der Schöpfer dieser Gestalten, der seiner Zeit weit voraus war. Deshalb nannte man ihn sehr respektvoll den Naumburger Meister. Bemerkenswert ist auch der Figurenfries des Passionsreliefs. Die Standbilder im Portal, die Reliefs an der Brüstung, das pflanzliche Dekor der Schlusssteine und Kapitelle mit Blättern und Früchten der Heimat - alles ist so echt und wirklichkeitsnah wie sonst nirgendwo. Es versteht sich von selbst, dass Kapitelle und Steinfiguren nicht berührt werden dürfen, damit sie der Nachwelt so lange wie möglich im Original erhalten bleiben. Anders verhält es sich dagegen mit den beiden Handläufen aus jüngerer Zeit. Der Magdeburger Künstler Heinrich Apel verlieh dem Dom einen zusätzlichen, frischen Glanz. Aus dem Jahre 1972 stammt seine »Vogelprozession« aus Bronze auf dem Handlauf. 1983 schuf er schließlich den »Weg ins Paradies« auf einem weiteren Handlauf. Zu sehen ist eine große Schlange, die das Böse verkörpert. Sie wird vom Teufel geritten. Auch Zerberus, der dreiköpfige Höllenhund, ist dabei. Die Menschen mühen sich auf der Schlange nach oben, das Treppengeländer empor. Sie haben alle nur ein Ziel: das Paradies. Der Gelehrte mit dem Buch meistert diesen schweren Weg mit seinem Wissen. Dem König dient die Macht, dem Geistlichen die Religion. Dem einfachen Arbeiter hilft seine Muskelkraft. Besonders pfiffig stellt sich der Geselle als Seiteneinsteiger an. Er will ohne große Anstrengungen ins Paradies gelangen, kürzt den Weg einfach ab, indem er senkrecht an einer Strebe nach oben klettert. An vielen Stellen ist der Handlauf vom Anfassen ganz blank gerieben. Das ist Einladung genug, es den schon da gewesenen Besuchern gleichzutun. Es macht Spaß, denn die entzückenden Figürchen haben etwas so Menschliches, dass wir uns selbst darin entdecken, und sie liegen so griffig in der Hand. Und letztlich; auf diese Weise kann schließlich jeder zum Glanz des Doms beitragen. Information: Öffnungszeiten des Naumburger Doms von November bis Februar: Mo-Sa 9-16 Uhr, Sonn- und Feiertage 12-16 Uhr, Führungen zur vollen Stunde, Tel. (03445) 23 01 10, Fax: 23 01 20. Veranstaltungstipp im Dom: Adventsvesper 29. 11. (Domchor), 6. 12. (Domsingen mit Instrumenten), 13. 12. (Kammerchor), 20. 12. (Orgelmusik), Beginn jeweils 18 Uhr. Mohrencafé am Dom: Wer das Kunsterlebnis entspannt in sich nachwirken lassen möchte, kann das im Mohrencafé gegenüber tun. Das bietet neben einem heißen Kaffee einen herrlichen Domblick und eine leckere Auswahl an Kuchen, geöffnet Mo.-So. 9-20 Uhr, Tel. (03445) 20 45 65.