nd-aktuell.de / 18.11.2003 / Politik

Der unwiderlegte Vorwurf: Siegerjustiz

Zehn Jahre Jugoslawien-Tribunal in Den Haag

Kati Goldmann
Am 17. November 1993 nahm das Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag seine Arbeit auf. Das Tribunal sollte Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen, Verbrechen eindämmen und zur Herstellung und Erhaltung des Friedens beitragen - so der damalige ICTY-Präsident Antonio Cassese.
Unter dem Druck der USA hatte sich der UNO-Sicherheitsrat ungeachtet der Kritik vieler Völkerrechtler angemaßt, in Überschreitung seiner Befugnisse 1993 ein Ad-hoc-Tribunal ins Leben zu rufen. Seither wurden in Den Haag mehr als 100 Verdächtige verurteilt oder angeklagt. Die Befürchtung, dass dieses Tribunal unter dem Mantel des Rechts politische Siegerjustiz üben werde, sind nicht ausgeräumt. Im Gegenteil: Fragwürdige Praktiken wie der Handel mit Zeugen, die Vernehmung anonymer Zeugen, Kooperation der Richter mit der Anklageseite und der Anklage mit den NATO-Staaten nähren sie stattdessen. In der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift »Der Strafverteidiger« beklagt der Frankfurter Rechtsanwalt Stefan Kirsch die Benachteiligung der Verteidigungsseite vor dem ICTY: Es gebe keine Waffengleichheit und also keine fairen Prozesse. Von Anfang an hat das Tribunal höchst parteiische Maßstäbe angelegt. Der Entschluss, von der NATO während der Aggression 1999 begangene Kriegsverbrechen nicht zu verfolgen, steht dafür ebenso exemplarisch wie die Überrepräsentanz von Serben auf der Anklagebank. Das Gericht folgt schablonenhaft der offiziellen Version der NATO-Staaten, wonach diese friedensstiftend in den Bürgerkrieg eingegriffen und später durch eine »humanitäre Intervention« die »ethnische Säuberung« Kosovos gestoppt hätten. Die serbische Seite ist die der Täter. Ein paar Anklagen gegen Kroaten, bosnische Muslime und Kosovo-Albaner täuschen Objektivität vor. Im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic tritt der Hintergrund der Errichtung des Tribunals, als dessen »Mutter« die seinerzeitige UNO-Botschafterin der USA, Madeleine Albright, bezeichnet wird, besonders deutlich zu Tage: Die vom Westen geschriebene Geschichte des auseinander brechenden Jugoslawien soll »juristisch« abgesegnet werden. Und so wundert es wenig, dass die Anklageschrift gegen Milosevic so ziemlich alle unterdessen als Konstrukt enttarnten Gräueltaten auflistet. Von Zweifeln über den wahren Hintergrund des »Massakers von Racak« beispielsweise haben selbst westliche Medien berichtet. Doch für das Tribunal existieren solche Zweifel nicht. Das Tribunal braucht »Racak«, ist es doch das einzige Verbrechen in Kosovo, das Milosevic für die Zeit vor dem Angriffskrieg der NATO zur Last gelegt wird. Dass die Anklage bei der Präsentation von Zeugen immer wieder Pannen erlebt, liegt in der Natur von »Beweisen« des Unmöglichen. Die Öffentlichkeit hat nie viel über die Vorgänge im Tribunal erfahren. Nur kurz änderte sich dies bei Beginn des Milosevic-Prozesses. Die direkte Fernsehübertragung wurde abgestellt, als Milosevic seine Strategie der Anklage der westlichen Staaten und ihrer medialen Helfer darlegte. Nur im Großraum Belgrad wird der Prozess noch übertragen. Dass in den Kriegen um den Zerfall Jugoslawiens auf allen Seiten, von Militärs wie von Politikern, Verbrechen begangen wurden, ist unbestreitbar. Ebenso unzweifelhaft ist jedoch, dass westliche Staaten - in vorderer Reihe die Bundesrepublik - den Zerfall Jugoslawiens mitzuverantworten haben. In den Bürgerkriegen haben sie alle direkt und indirekt zu blutigen Gewalttaten beigetragen. Es sind jene Staaten, die von Beginn an bis heute das Tribunal finanzieren, personell ausstatten und durch politischen Druck kontrollieren, während sie vorgeben, als unabhängige Akteure über die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien zu Gericht zu sitzen. Verständlich deshalb der Ausruf eines Serben bei der jüngsten Demonstration von Tribunal-Gegnern am 8. November: »Nicht die Aggressoren sollen unsere Geschichte schreiben.«