nd-aktuell.de / 07.10.1993 / Politik / Seite 10

Pillen und Kondome sind Raritäten

Wadims Eltern sind Handeltreibende und oft unterwegs. Für die Clique Zeit, wieder bis zum Hellwerden zu feiern, und für Wadim und Natascha, ungestört lieben zu können. Doch ständig treibt die 17jährige die Angst, schwanger zu werden. Die Pille gibt es nur auf Rezept und nur für Frauen im Mittelalter, die bereits geboren haben. Auf dem Schwarzmarkt könnte Nata-

scha Kontrazeptiva für viele Valuta bekommen, aber die hat sie nicht. „Außerdem möchte ich meinen Körper nicht mit Medikamenten belasten, von denen ich nicht weiß, welche Nebenwirkungen sie haben.“ Kondome gab und gibt es nach wie vor nicht. Lediglich der Schwulen-Fond „Tschaikowski“, der die Gummitütchen in allen Farben und Formen aus dem Westen als Spende bekam, verkauft ab und an welche für schwule Männer.

„Aufgeklärt wurde ich nie“, sagt Natascha. Sex, Liebe, AIDS, Homosexualität waren gesellschaftliche und familiäre Tabu-Themen. So wurde immer und überall über „lüsterne Sachen“ getuschelt und Sex so hochstilisiert, daß Natascha nach ihrem ersten Liebeserlebnis mehr als enttäuscht war. Durch Perestroika und die Öffnung zum Westen lockerten sich ein wenig die Schranken. Für die Jugend hieß das, überschwenglich auszukosten, was bisher den Ruch von Verbotenem hatte. „Free love for all“, erklärt

Igor: Heute mit der, morgen mit einer anderen, Hauptsache, es macht Spaß. Überall in St. Petersburg sieht man Pärchen, die sich küssen, umarmen, streicheln - ein bisher ungewohntes Bild in dem riesigen Land.