nd-aktuell.de / 07.10.1993 / Politik / Seite 11

Das neue Südafrika ist schon im Entstehen

Dr. ULRICH VAN DER HEYDEN, Johannesburg

Zu den berüchtigsten Siedlungen der nichtweißen Bevölkerung Südafrikas gehört Soweto - das größte Township des Landes. Die durch die internationalen Medien verbreiteten Greuel entsprechen durchaus den Tatsachen. Wenig Beachtung hingegen finden Eigeninitiative und die Anstrengungen von Solidaritätsgruppen, die den Bewohnern der Townships bei der Gestaltung ihrer Zukunft behilflich sind. Es fehlt hier an fast allem: an materieller Ausstattung der Häuser, an Krankenstationen. Schulen, Kindergärten, Frauenhäusern usw.

Erfolge bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse sind aus dem benachbarten Township Eldorado Park zu vermelden - dessen Bewohner sind übrigens dem Goldreichtum räumlich näher als die Spanier vor 500 Jahren bei ihrer Suche nach der sagenumwobenen Goldstätte in Lateinamerika. Seit mehr als 100 Jahren wird nämlich hier im Süden von Johannesburg das begehrte Edelmetall gefördert. Doch die Arbeitslosigkeit ist unter den Bewohnern, allesamt sog. Coloureds („Farbige“), sehr hoch. Wer einen Job hat, fährt jeden Morgen mit dem Bus nach Johannesburg.

Eigentlich sollte Eldorado Park, das gemäß der Apartheid-Gesetzgebung vor einigen Jahren von der „Schwarzen“-Siedlung Soweto und dem Inder-Township Lenasia räumlich getrennt angelegt wurde, nur 80 000 Bewohner beherbergen. Heute sind es 300 000. Ihre Häuser, die auf relativ kleinen, aber sehr sauberen Grundstücken stehen, sind nur zum Teil mit Elektrizität und anderem Wohnkomfort ausgestattet. Toiletten be-

sowie die Bereitstellung regelmäßiger Schulverpflegung werden mit großem Elan von zahlreichen Bewohnern vorangetrieben. Besonders aktiv sind die Women against Women Abuse (Frauen gegen Mißbrauch von Frauen), die nicht nur Opfern rassistischer und sexistischer Gewalt helfen, sondern auch ansonsten vielfältige Basisarbeit betreiben.

Doch es fehlt auch in Eldorado Park an allen Ecken und

Enden an Geld. Hin und wieder erhalten einzelne Projekte finanzielle Unterstützung, z. B. vom Berliner Solidaritätsdienst International (SO-DI). Dies ist aber nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Und die Betroffenen warten auch nicht, bis aus dem Ausland oder von inländischen Organisationen Hilfe eintrifft. In Eldorado Park zeugen davon auch zwei Zeitungen, die für die Einwohner herausgegeben werden. Neben lokalen Ereignissen werden hier Projekte vorgestellt und bekannt gemacht.

Dieser Mut zur Selbsthilfe ist aber nicht überall in Südafrika anzutreffen. Oft wird der Beobachter mit unrealistischen Hoffnungen von Seiten der „schwarzen“ Bevölkerungsmassen konfrontiert, daß sich ihre Lage quasi über Nacht, nach einem Sieg des ANC bei den Wahlen im April 1994, ändern werde. Da der Veränderungsprozeß jedoch nur auf lange Sicht Erfolge zeitigen kann, sind Selbsthilfegruppen an der Basis umso wichtiger. Wie in Eldorado Park warten viele nicht auf das oft diskutierte neue Südafrika - sie beginnen schon, dieses zu gestalten.