Nächster Halt in Detroit (Oder)

Scheitern als Chance? Das »Schrumpfende Städte«-Projekt der Bundeskulturstiftung

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Country Joe« lebt zwar, aber er existiert nicht. Denn niemand weiß von seinem Dasein, obwohl er doch mitten in einer Großstadt wohnt. Joe ist ein »Scrapper«, ein freiberuflicher Müllmann für Zivilisationsreste. Wie viele Andere seiner »Zunft« lebt er auf den Industriebrachen der ehemals boomenden Autostadt Detroit, Michigan. Ihren ärmlichen Tagelohn, der zu einem regulären Dach über dem Kopf niemals ausreichen wird, verdienen sich Country Joe und seine Kollegen durch das Aufsammeln, Herausreißen, Abkratzen von Buntmetallresten aus den Bauruinen der verlassenen Fabriken Detroits. Mit bloßen Händen oder primitivsten Werkzeug demontieren sie Maschinenreste, zerren Kabel aus den Wänden und versetzen ihre Beute dann auf den Schrottplätzen. Das ist zwar Diebstahl, aber nicht einmal die Polizei kümmert sich noch um Joe und seinesgleichen. Selbst die Besitzer der oft kontaminierten Fabrikgelände sind zuweilen unauffindbar - wenn eine Stadt ihre Funktionen einbüßt, kann sogar Eigentum zur Bürde werden. Scott Hocking ist selbst in der unglücklichen Stadt am Eriesee aufgewachsen, die in den letzten Jahrzehnten jeden zweiten ihrer Einwohner verloren hat. Über Jahre hat er die Spuren der Scrapper gelesen. Er hat ihre Nachtlager fotografiert, ihre an Bäumen aufgehängten Kleiderbeutel, ihre Fuhrparks aus geklauten Einkaufswagen - nur ihre Gesichter nicht. Und jetzt sitzt er auf einem Podium im fernen Berlin. Um »Vandalismus und Kleinkriminalität in urbanen Schrumpfzonen« soll es gehen, um die kecke Frage, inwieweit Devianz »positiv« zu werten sei, »wenn klassische Formen der Erwerbsarbeit und der Freizeitgestaltung nicht mehr zur Verfügung stehen«. Irgendwann schüttelt Hocking nur noch den Kopf. Vandalismus, Kleinkriminalität, Freizeitgestaltung, Selbstbehauptungsstrategie? Seine Scrapper überleben doch nur. Nicht mal Drogen können sie sich leisten. Im April hat die Kulturstiftung des Bundes ihr Mammutprojekt »shrinking cities« vorgestellt: Anhand der »schrumpfenden Städte« Iwanovo (Russland), Detroit (USA) und Halle/Leipzig (Ostdeutschland) soll im Herbst 2004 in einer großen Ausstellung die Kultur sich kontrahierender urbaner Umgebungen vorgeführt werden. Jetzt nimmt das Projekt Konturen an: Eine Anfang November im ebenfalls »schrumpfenden« Manchester begonnene und nun in Berlin mit der interessanten, leider aber etwas verunglückten Vandalismus-Diskussion nach Deutschland gekommene Veranstaltungstour wird am 5.Dezember in Halle/Leipzig mit dem Thema »musikalische Subkulturen in schrumpfenden Städten« fortgesetzt. Am 12.Dezember wird der Projektleiter Philipp Oswalt in Dessau danach fragen, wie auch schrumpfende Städte »kreative Formen der Bild- und Imageproduktion für ihr Stadtmarketing« entwickeln können. Die Debattenkarawane wird dann im kommenden Jahr mit Terminen zu »Eigentum versus Aneignung«, zum Rechtsradikalismus sowie einer Veranstaltung über die knappen Stadtkassen weitergehen. Ein breites Panorama stadtsoziologischer Fragen, auf die es natürlich keine Patentantwort geben kann. Das »Schrumpfende- Städte«-Projekt will in erster Linie Zusammentragen, Forschen, Demystifizieren - doch schwingt stets ein kommunitaristischer Lösungsansatz mit: Leere Räume, hieß es bei der Berliner Veranstaltung, seien als »Luxus« zu betrachten, als kulturelles Kapital in Stellung zu bringen, gemeinschaftlichem oder kleinwirtschaftlichem Gebrauch zuzuführen. Das Projekt ist insofern auch ein aufwändig bebildertes Plädoyer für die kreative Zwischennutzung der Leerstellen in der Stadt - wie im im eigenen arbeitslosen Leben. »Scheitern als Chance« also - inwieweit kann man eigentlich einen Topos, den bereits ein Christoph Schlingensief in den Fingern hatte, noch ernsthaft als Vision propagieren? Sicher ist es besser, in einen Skatclub zu gründen und womöglich einen Schuppen zum Vereinsheim auszubauen, als allein zu Hause den Fernseher zu beschimpfen. Die spektakulären Beispiele aber, in denen solche »Zwischennutzungen« Stadtteilen oder Bewohner-Gruppen tatsächlich neue Perspektiven eröffnet haben - und die die Schau sehr attraktiv für ein junges, gut ausgebildetes, nicht unkritisches urbanes Publikum machen werden -, stammen aus »shrinking cities« wie Manchester, Ostberlin oder auch Leipzig und Halle. Aus Orten also, die auf ihre Art zwar »schrumpfen« mögen, aber doch gerade junge Menschen manchmal geradezu magisch anziehen. Und das, obwohl sie ihnen nicht einmal gute Aufstiegsmöglichkeiten anzubieten haben. Ganz ähnlich haben zwar die Zusammenbruchsromantik und die Leerstände Detroits nicht nur Mutlosigkeit und Isolation verbreitet, sondern etwa die Entstehung der Techno-Kultur begünstigt - aber welche kulturelle Innovation dieser Art wäre aus Schwedt an der Oder, Görlitz oder Wittenberge zu erwarten? Nichts ist gegen bürgerschaftliches Engagement zu sagen, nichts gegen Nachbarschaftshilfe und subsistenzwirtschaftliche Strukturen, nichts gegen Einkaufsgemeinschaften, Food-Kooperativen und Tauschringe. Untergrund-Bars, Kulturvereine, Freiberufler-Kooperativen und selbst organisierte Kinderbetreuung sollten gefördert werden, und sicher lebt es sich in Räumen, aus denen sich Wirtschaft, Staat und Stadt zurückziehen, besser mit einem »post-materialistischen« Selbstentwurf als der Sucht nach stofflichen Statussymbolen. Nur eines wäre dabei im Hinterkopf zu behalten: Dass nämlich zumindest ein schlechter Kommunitarismus das ideale Komplement zum Neoliberalismus darstellt. Denn wenn in der Gesellschaft ohnehin alle Zeichen auf den Ausschluss der Verlierer stehen und man über all der kommunalen Mikropolitik grundsätzliche Fragen nach der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums vergisst, kann die »kreative« Nutzung der Leere recht schne...

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