Hand in Hand ins Ungewisse

Wolfgang Gussmann inszeniert »Jenufa« von Leos Janacek an der Komischen Oper Berlin

  • Laura Naumburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Einen Teppich von Herbstlaub breitet Wolfgang Gussmann unter dem ersten Akt von Leos Janaceks »Jenufa« in der Berliner Komischen Oper aus. Und anfangs trügt das kraftvolle erdige Gleichnis vom Werden und Vergehen nicht einmal. Stewa, der reichste Bursche des Dorfes, ist vom Militär freigekommen und das wird wild gefeiert. Stewas schöne Braut Jenufa ist die wildeste Tänzerin. Bald kann die Hochzeit sein. Bald muss die Hochzeit sein. Jenufa erwartet ein Kind von Stewa. Noch ist sie rank und schlank, aber sie krümmt sich, als wolle sie einen riesigen Bauch verbergen. Die Hochzeit wird nicht sein, denn der eifersüchtige Laca vernichtet mit dem Messer, was für Stewas Liebe das wichtigste an Jenufa war, ihre apfelglatten Wangen, ihre Schönheit. Regisseur Wolfgang Gussmann hat ein Rennen und Jagen in diesem ersten Akt inszeniert, das den realistischen Anschein der Szene Lügen straft. Was sich da auf der leeren Bühne abhetzt, sind nicht planlos überagierende Sänger-Darsteller, es sind die unverhüllten existenziellen Ängste ihrer Figuren, fliehend fliegende Gedanken, mein Ruh ist hin, mein Herz ist schwer. Der zweite Akt geriet dem Inszenierungsteam bleicher und blasser. Das Laub ist einer Eiswüste gewichen. Aufgeworfene Eisschollen draußen und drinnen in Jenufas Kammer. Eisblöcke sogar unter dem Bett, in dem Jenufa ihr Kind zur Welt brachte. Ihre Stiefmutter, die Küsterin, kann gar nicht hinsehen. Das Leben des geliebten Ziehkindes ist vernichtet. Stewa, vor dem sich die stolze Frau erniedrigt, nimmt Jenufa nicht und auch Laca, der Jenufa nach wie vor liebt, geht erst einmal wieder. Die Küsterin ertränkt das Neugeborene und als Jenufa aus dem Fieber erwacht, scheint mit dem Verlust des Kindes auch ihr Leben vernichtet. In diesem Akt fliehen die Personen voreinander bis an die Wände der Kammer, aber mit der ausgebrochenen Katastrophe beginnt Ruhe einzukehren. Laub und Eis sind gewichen, im dritten Akt liegen Steine auf dem Boden. Steif wie Statuen sehen Laca und Jenufa zu, wie Gäste kommen, wie lange Tische und Stühle gebracht werden, zwischen sich die ganze Breite der Bühne. Es gibt es ein Hochzeitsfest. Laca und Jenufa sollen ein Paar werden. Die Dorfbewohner stören die Feier. Sie haben den getöteten Säugling gefunden und jeder würfe gern den ersten Stein auf die mörderische Mutter, bis die fromme Küsterin ihre Tat gesteht. Sie wird ins Gefängnis kommen und darf das Wichtigste mitnehmen: Jenufas Verzeihung. Jenufa und Laca bleiben allein. Sie entscheiden sich, Hand in Hand ins Ungewisse zu gehen. Lange gab es nicht so viel Jubel im Haus in der Behrenstrasse, wie am Schluss dieser Premiere. Natürlich galt er den Mitwirkenden - und tarnte Unzeitgeistgemäßes. Nur naive Kinder klatschen vor Freude in die Hände, vor Freude über lange nicht gesehene Liebe, die Theatermacher ihren Figuren hier entgegenbrachten. Besonders die Küsterin, gesungen von Karen Armstrong, unterschied sich sehr vom gängigen Bild der sittenstrengen und harten Frau, die aus Furcht vor der Schande zur Mörderin wird. Armstrong war eine zwar um strenges Auftreten ringende, dabei nichts als liebende Mutter, deren Augenstern Jenufa den besten und richtigen Mann bekommen sollte. Ihre Erkenntnis, dennoch aus Eigenliebe getötet zu haben, kommt aus umso schmerzhafterer Selbsterkenntnis. Karen Armstrongs sängerisches Comeback als Küsterin war allerdings nicht ganz schmerzfrei. Die Stimme hat in der Höhe noch Glanz, den tieferen Lagen ihrer Partie war sie indes kaum gewachsen. Sinéad Mulhern ist so jung, wie man sich das Mädchen Jenufa vorstellen muss. Noch fehlt die ganz große Stimme, aber die Entwicklung der Jenufa vom bebend Explosiven zum differenziert Zärtlichen verwirklichte sie hervorragend. Laca und Stewa, die beiden konkurrierenden jungen Männer, waren mit Jürgen Müller und Andreas Conrad durchaus ebenbürtig besetzt, zwei Tenöre mit klarer Diktion und guter Textverständlichkeit. Insgesamt war es damit schlecht bestellt. Umso schlimmer, weil Janaceks Musik wie kaum eine andere durch die enge Verbindung zum Text lebt. Hier stand sich Kirill Petrenko am Pult des Orchesters der Komischen Oper selbst im Wege. Er war zu sehr verliebt in die koloristischen Effekte der Partitur, in kraftvolle Bläser und klingelndes Schlagwerk. Der Klang war vielfach zu stark und entmischt. Auf der Habenseite von Petrenkos musikalischer Auffassung allerdings viel mehr: allerschönste lyrische Stellen und ein pulsierender, seelenvoller Schwung, der die Figuren mit all ihrer schwierigen Liebe und damit den ganzen Abend trug.
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