Aufpolierte Konzern-Bilanzen

Gewinne steigen, aber Umsätze stagnieren

Die Gewinne der deutschen Konzerne steigen wieder kräftig. Doch die Bilanzen sind bei weitem nicht so glänzend, wie sie an der Börse gesehen werden.
Der vorerst letzte im Bunde war Anfang der Woche E.ON: Der Düsseldorfer Energieriese steigerte seinen Gewinn nach Steuern in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 16 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro - und liegt damit voll im Trend. Fast alle 30 Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (DAX), die in diesen Tagen ihre Zahlen aus dem dritten Quartal präsentieren, warten mit kräftigen Gewinnsprüngen auf. Nicht wenige hatten im letzten Jahr noch rote Zahlen geschrieben - darunter der größte Finanzkonzern Allianz, Chipproduzent Infineon und die Telekom, die 2002 mit dem deutschen Rekordverlust von 20 Milliarden Euro ihre Bücher schloss. Für das Gesamtjahr 2003 erwartet der französische Finanzdatenanbieter JCF auf der Basis von Analysten-Prognosen für die DAX-Konzerne einen Gewinnsprung um 63 Prozent. Diverse Firmen haben 2002 keine oder kaum Gewinne gemacht und können jetzt mit extrem hohen Wachstumsraten aufwarten. Aber es gibt auch noch Unternehmen, denen es alles andere als blendend geht: etwa BASF, DaimlerChrysler und VW - beim Wolfsburger Autobauer ist der operative Gewinn von Juli bis September gegenüber dem Vorjahresquartal um die Hälfte eingebrochen. Und die Reisebranche insgesamt kommt nicht aus der Krise. Schlechte Nachrichten gehen im wieder zurückkehrenden Aktientaumel allerdings unter. Obwohl die Kurse schon in den letzten Monaten kräftig nach oben geschossen sind, wittern nicht wenige Börsianer nach den mehrheitlich guten Quartalszahlen eine »Jahresendrallye«. Indes wird kaum nachgefragt, woher der fette Geldregen der Konzerne eigentlich kommt. Das Umfeld spricht nämlich eher dagegen: In Deutschland lahmt die Konjunktur weiter, das Exportgeschäft wird durch den starken Euro erschwert, und einen größeren Preisanstieg gibt es nur in wenigen Bereichen. Tatsächlich sprudeln die Gewinne wieder, weil die DAX-Unternehmen im eigenen Haus gekehrt haben - nicht selten mit eisernem Besen. Nach dem großen Wirtschaftseinbruch im Jahr 2000 wurden von München (Siemens) über Frankfurt (Commerzbank) bis Duisburg/Essen (ThyssenKrupp) Kostensenkungsprogramme erarbeitet und umgesetzt. Diese beinhalten eine effektivere Organisation und Produktion, aber auch Arbeitsplatzabbau und Schließung von Betriebsteilen. Die Banken haben sage und schreibe 40000 Stellen gestrichen, BASF immerhin 4000, und Henkel will jetzt noch mehr als die bisher geplanten 2500 Jobs abbauen. Zum Teil ist der Gewinnanstieg auch der Bilanztechnik geschuldet. Viele Konzerne - allen voran auch hier die Großbanken und die Telekom - haben im vergangenen Jahr Wertberichtigungen in großem Umfang vorgenommen. Grund: Beteiligungen, die zum Kaufwert in den Büchern standen, hatten als Folge des Börseneinbruchs kräftig an Wert verloren. In diesem Jahr verkaufen dagegen diverse Unternehmen Beteiligungen, um wieder profitabler zu werden. Auch wenn diese oft deutlich unter dem Kaufpreis verscherbelt werden, spült die Veräußerung Geld in die Kassen. Die Einmalgewinne dieses Jahres und die Einmalverluste des letzten Jahres erschweren natürlich die Vergleichbarkeit der Zahlen. Insbesondere in den USA, wo kreative Buchführung aggressiver betrieben wird als hier zu Lande, gehen manche Unternehmen noch einen Schritt weiter und rechnen Kosten einfach aus den Bilanzen heraus. An der Wall Street ist schon die Rede von »Tralala-Gewinnen«, die den Börsianern eine heile Welt vorgaukeln sollen. Auch in Deutschland gibt es einzelne Mahner. Sie weisen darauf hin, dass die Möglichkeit, mit Einmalgewinnen, aber auch mit Kostensenkungsprogrammen die Bilanzen aufzupeppen, in absehbarer Zeit erschöpft sein dürften. Bei einem weiteren Stellenabbau könnte zudem die Unternehmenssubstanz Schaden nehmen. Dauerhafte Gewinnsteigerungen kann es folglich nur geben, wenn die Nachfrage entsprechend steigt. Doch um diese ist es aktuell eher schlecht bestellt. Das belegen übrigens gerade auch die aktuellen Quartalszahlen der DAX-Konzerne. In den meisten Fällen sind die Gewinne erheblich schneller gestiegen als die Umsätze, die kaum wachsen und bei einigen Unternehmen sogar immer noch schrumpfen. So meldete die Deutsche Bank eine nachlassende Kundenaktivität. Laut DZ-Bank sind die Umsätze der DAX-Konzerne im dritten Quartal gerade mal um 0,4 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum gestiegen. An der schwachen Binnennachfrage wird sich auch nächstes Jahr wohl nichts ändern. Von der Industrie- und Handelskammer befragte Unternehmen schätzen zwar erstmals seit 2001 die Geschäftsaussichten 2004 per saldo leicht positiv ein - aber nur dank kräftig steigender Exporte. Auch die DAX-Konzerne tun nichts dafür, dass sich das allgemeine Konjunkturbild aufhellt. Höhere Gewinne werden in den Schuldenabbau, die eigene Kriegskasse oder höhere Dividenden gesteckt. Was Investitionen abgeht, gibt man sich dagegen meist zurückhaltend. Darüber hinaus rechnen Konjunktur-Auguren erstmals mit einer »Jobless Recovery« - einer wirtschaftlichen Erholung, bei der keine neuen Arbeitsplätze entstehen.
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