Wo die Sonne verstaubt

Bochumer Trostpflaster für die Parteibasis, Weg frei für »Weiter so!«

Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt«, singt Herbert Grönemeyer in einer Hymne auf seine Heimatstadt Bochum, »ist es besser, viel besser als man glaubt!« Ja, schön wärs. Tief im Westen, in Bochum, tagten drei Tage lang die Sozialdemokraten, aber der Staub liegt immer noch dick auf ihrer Sonne, und besser geworden ist nichts. Dabei hätte es die gebeutelte SPD dringend nötig. Ganz allgemein und auch speziell in Nordrhein-Westfalen. Nächstes Jahr gibt es hier Kommunalwahlen, und es könnte gut sein, dass sich für die Sozialdemokraten das Drama von 1999 wiederholt, als die SPD im Jahr nach dem Machtantritt der rot-grünen Bundesregierung dramatisch abstürzte. Solche Pleite droht auch in Nordrhein-Westfalen, wenn diverse »Reformgesetze« ihre volle Wirkung entfalten. Und noch schlimmer: Was soll 2005 werden bei der Landtagswahl im sozialdemokratischen Kernland? Aber davon will die SPD-Spitze in Bochum nicht reden. »Das Wichtige tun«, hat sie den Parteitag nichts-sagend-vieldeutig überschrieben. Unter diesem Motto kann Parteichef Gerhard Schröder beiläufig, aber sehr zur Freude der Delegierten, den Begriff demokratischer Sozialismus fallen lassen und gleichzeitig die Hartz-Gesetze loben. Generalsekretär Olaf Scholz darf die bisherige Politik verteidigen, um im selben Atemzug lang und breit über Gerechtigkeit zu referieren. Und Sätze zu formulieren wie diesen: »In einer so großen persönlichen Tragödie, wie sie die Arbeitslosigkeit bedeutet, werden wir die Menschen nicht allein lassen.« Als sei die Regierung nicht gerade dabei, Arbeitslose massiv in Billigjobs zu drängen. »Viele Menschen trauen uns nicht mehr«, sagt ein Delegierter resigniert, »aber man traut uns inzwischen alles zu.« Das meinen offenbar auch immer mehr SPD-Mitglieder und verlassen zu Tausenden die Partei. Jeder Austritt schmerzt, sagt Schröder. Aber wirklich wehtun die Abgänge denen ganz unten, an der Basis. »Wir brauchen ein Radar, und das können nur die Mitglieder sein«, fast flehend spricht so der Hesse Gernot Grumbach. Wie anderswo herrscht auch im SPD-Unterbezirk Wesel Ebbe in der Parteikasse weil langsam die Beitragszahler knapp werden. Neuerdings gehen nach dem Willen der Parteispitze die Ehrungen für langjährige Genossen schon nach zehn Jahren Mitgliedschaft los. Kleine Aufmerksamkeiten erhalten die Freundschaft. Aber wer bezahlt all die Urkunden, Ehrennadeln und Broschen? Soll der Vorstand sie gefälligst kostenlos zur Verfügung stellen, verlangen die Weseler Genossen, sie haben dafür kein Geld mehr. Er gewinne den Eindruck, meint ein Delegierter, die Führung wolle das Signal aussenden: »Wir haben verstanden!« In der Tat existieren ein paar Beschlüsse, die der Parteiseele gut tun. Ausbildungsabgabe, Bürgerversicherung, höhere Erbschaftssteuer - Zeichen dafür, »dass nicht immer nur weggenommen und gekürzt, sondern auch gerecht modernisiert wird«, wie Andrea Nahles feststellt, die Sprecherin der Parteilinken. Doch außer diesen Bonbons für die Basis und ein paar guten Worten ändert die Parteispitze nichts. Der Kanzler stellt sich demonstrativ vor die per Stimmzettel abgestraften Clement und Scholz. Er beschimpft Delegierte und bedroht den niedersächsischen SPD-Chef Wolfgang Jüttner wegen angeblicher Mitschuld an der Abstimmung. Wohl auch deshalb blitzen in der Debatte die Ankündigungen weiterer drastischer Einschnitte auf. Ansonsten hört man, die »Reformen« müssten besser erklärt werden. Den Demonstranten vor der Bochumer Kongresshalle braucht niemand mehr etwas zu erklären. Während sich im Tagungssaal Gerhard Schröder mit der skurrilen Logik zu trösten versucht, die Menschen hätten schließlich Rot-Grün nicht wiedergewählt, weil sie etwa die Hartz-Gesetze nicht wollten, entlädt sich draußen der Zorn von Leuten, die wahrscheinlich weder Hartz noch Schröder mögen. »Es wäre besser, wenn hier statt 500 Leuten zwei Millionen stehen würden«, sagt ein Mittvierziger unter den Demonstranten, der ein Transparent mit der sarkastischen Losung »SPD - mehr Demokratieabbau wagen« hält. Warum es nicht mehr sind? »Du stellst die falschen Fragen«, meint er. Was er den Parteitagsdelegierten sagen würde, wenn er kurz zu ihnen sprechen dürfte? Der Mann schüttelt den Kopf: »Ich sag ja, du stellst die falschen Fragen. Nichts würde ich sagen, hat ja keinen Zweck.« Dann fällt ihm doch etwas ein: »Was die machen, ist Unrecht. Deshalb müssen diese Politiker alle weg.« Und dann? Er lacht: »Du stellst wirklich die falschen Fragen.« Die Kundgebung im Nieselregen löst sich auf, ein Attac-Redner wettert hinter der Polizeiabsperrung noch gegen die »Gesundheitsreform«, als die Delegierten nach und nach das Tagungsgebäude verlassen und in die Busse klettern, um zum geselligen Parteiabend zu fahren. Ansonsten ist für Geselligkeit wenig Anlass auf diesem Parteitag. Die Vorreiter der unsozialen Modernisierung erhalten bei der Vorstandswahl eine Ohrfeige, aber auch einige linke Abweichler aus der Bundestagsfraktion schneiden schwach ab. Am besten ergeht es Leuten wie Heidemarie Wieczorek-Zeul und Wolfgang Thierse, die die Regierungspolitik voll mittragen und dabei an traditionellen Begriffen wie dem des demokratischen Sozialismus festhalten. Schließlich wolle man die Regierung stützen und nicht stürzen, bekennt der Juso-Vorsitzende Niels Annen. Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, ist indessen unzufrieden mit dem schlechten Gewissen vieler Sozialdemokraten, »wenn wir den Sozialstaat an der einen oder anderen Stelle zurückschneiden«. Die Partei, fordert er, solle »sich der Modernisierung nicht schämen, denn schließlich bringt uns das Geld für wichtige Zukunftsinvestitionen«. Gersters Lieblingspolitiker dürfte Wolfgang Clement heißen. Im Saal sind die Ansichten des Wirtschaftsministers höchst umstritten; immer wieder wird er heftig attackiert. Immer wieder geht er ans Rednerpult, um seine Leitsätze zu verteidigen: Lasst die Unternehmer in Ruhe, verschreckt keine Investoren, greift nicht in die Wirtschaft ein, erhöht keine Steuern. Was bedeutet: flexible Tarifverträge, längere Arbeitszeiten, aber keine Vermögensteuer, keine Ausbildungsabgabe. Gegen die kämpft unerbittlich Schröders Mann fürs Grobe, den ein Delegierter spöttisch als Chefökonom der Deutschland AG bezeichnet und der von einem Studenten die aktuellen Wirtschafts-Lehrbücher angeboten bekommt. Gut gemeint sei die Abgabe, sagt Clement, »aber sie wird schrecklich scheitern«, denn eine zentrale Regelung helfe nicht gegen die regionalen und konjunkturellen Schwankungen bei der Ausbildung. »Da beruhigt die Abgabe das linke Gewissen, löst aber das Problem nicht«, beharrt Clement und setzt lieber weiter auf die »freiwilligen Taten der Wirtschaft« - gegen die Stimmung der Parteitagsmehrheit. So leben viele Sozialdemokraten weiter mit dem Unbehagen über den eigenen Kurs. »Wir wollten doch die CDU treiben, und nun treibt sie uns«, beklagt Andrea Nahles. Die SPD-Spitze kann der Hoffnung kaum Nahrung geben, dass sie bald den Staub von der Sonne wischt. Pflichtbeifall für Schröder, müde Zustimmung für Scholz. Da bleibt es Fraktionschef Franz Müntefering überlassen, die Delegierten mit einem zackigen Appell wenigstens für einen Moment von den Sitzen zu reißen. »Die Fraktion ist gut, die Partei auch«, schmettert der wahre Zuchtmeister in den Saal. Applaus. Setzen. Weitermachen. Aber wer glaubt ernsthaft, dass diese SPD im Jahre 2010, für das Schröder eine kleine, halbherzige Vision entwarf, noch regieren wird?
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