Die Todesstatistik des Pentagon

  • Rainer Rupp
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Tod im Zweistromland ist längst nicht mehr allein eine »irakische Sache«, trotz haushoch überlegener Militärtechnologie der USA. Die dieser Tage der Presse zugespielte CIA-Lageanalyse sorgte in Washington für Panik. Der irakische Widerstand verfüge in der Gesellschaft »über eine breite Grundlage«, er sei »stark« und werde »immer stärker«. Inzwischen zählt die Besatzungsmacht durchschnittlich 33 Anschläge pro Tag. Entsprechend nehmen die Opferzahlen zu. Der jüngste Abschuss von zwei Hubschraubern brachte die Zahl der seit Beginn der Aggression in Irak getöteten USA-Soldaten auf über 420. Das sind mehr Tote als in den ersten drei Jahren der Intervention in Vietnam. Das wahre Ausmaß der eigenen Verluste bleibt der USA-Öffentlichkeit bisher jedoch weitgehend verborgen. Das Pentagon rechnet die Opferzahl klein, indem es sie in drei Kategorien aufspaltet: Erstens die 114 GIs, die vor dem 1. Mai dieses Jahres während der Invasion »bei Kampfhandlungen« ihr Leben verloren haben. Zweitens jene, die nach dem 1. Mai, der Tag an dem USA-Präsident Bush das Ende großer Kampfhandlungen erklärt hatte, »im feindlichem Feuer« gefallen sind. Und drittens die Zahl der GIs, die bei so genannten Unfällen ums Leben gekommenen sind. »Unfallopfer« werden in den offiziellen Statistiken in der Regel ausgeblendet, obwohl die Todesfälle meist im direkten Zusammenhang mit Kampfhandlungen gestanden haben. Zum Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes wird die wachsende Zahl der Toten für Bush immer mehr zu einer ernsten Belastung. Fotos von den zu Hause ankommenden Zinksärgen hat das Pentagon inzwischen verboten. Sogar Begriffe werden manipuliert. Das Pentagon spricht nur noch von »Transfer Tubes« (Transferröhren), in denen die Toten in die Heimat geflogen werden. Um nur ja nicht die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf das Thema zu lenken, hat der Präsident es bisher peinlich vermieden, bei einer feierlichen Beisetzung eines gefallenen »Helden« dabei zu sein. Da klingen seine vollmundigen Lobeshymnen auf das »größte Opfer unserer Besten« sogar in den Ohren patriotischer Veteranenverbände zunehmend hohl. Bei den Soldaten verdichtet sich vielmehr der Eindruck, dass sie und ihre Familien der Regierung ziemlich egal sind. Das Militärmagazin »Army Times« hat Bush sogar vorgeworfen, seine Soldaten zu verraten: »Mitten im Krieg sollen die wichtigsten Zuwendungen für (Militär-)Familien gekürzt werden«, berichtete das Magazin über die Absicht der Regierung, entgegen ihrer Versprechungen die Gehälter der Soldaten einzufrieren und sowohl die Gefahrenzulagen für Dienst im Kampfgebiet als auch die Entschädigungszahlungen an die Familienangehörigen für einen getöteten Soldaten zu kürzen. In einer Online-Veteranenzeitung wurde der bekannte Harvard-Ökonom Paul Krugmann zitiert, wonach die Bush-Regierung bisher alle ihre Finanzversprechen gebrochen habe, mit einer Ausnahme: die Steuerkürzungen für Großverdiener und Konzerne. Auch über die tatsächliche Zahl der in Irak schwer verwundeten Soldaten hüllt sich das Pentagon am liebsten in Schweigen. Bis vor zwei Wochen wurde in den Medien noch von etwas mehr als 2000 Soldaten (1014 während der Invasion und etwa 1000 seit dem 1. Mai) ausgegangen, die zur Behandlung in die USA evakuiert wurden. Erst als Anfang November eine Kongressdelegation das USA-Militärkrankenhaus in Landshut besuchte, berichtete die vom Pentagon finanzierte Soldatenzeitung »The Stars and Stripes« von 7000 schwer verwundeten und erkrankten Soldaten, die allein in Landshut behandelt worden waren. In einem weiteren Bericht wurde davon gesprochen, dass »aufgrund des nicht nachlassenden Stroms von Patienten aus Irak« auf der US-Airforce-Basis in Ramstein (bei Bitburg) »eine Turnhalle zu einem semi-permanenten medizinischen Notaufnahmequartier« umgebaut wird. Nun hat endlich der Generalarzt des Pentagon seine Zahlen auf den Tisch gelegt. Demnach mussten seit Kriegsbeginn 9200 USA-Soldaten aufgrund ihrer Verletzungen und Krankheiten nach Hause gebracht werden. Jedoch nur bei 1967 Soldaten würden die Verwundungen von Kampfhandlungen stammen. Um die Zahl der irakischen Opfer kümmert sich die Besatzungsmacht offiziell überhaupt nicht. Statistiken werden nicht geführt. Wenn irakische Zivilisten von US-Soldaten erschossen werden, finden keine Untersuchungen statt. Nach einem IPPNW-Bericht liegt die Zahl der irakischen Toten seit Beginn des Krieges zwischen 21000 und 55000, darunter bis zu 9600 Zivilisten.
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