Umjubelte Jessica, vergessene Shoshana

Bürgerrechtler beklagen die Ungleichbehandlung zweier US-amerikanischer Soldatinnen

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Jessica Lynch kennt dank des Medienrummels mittlerweile jeder in den USA. Eine Soldatin mit ganz ähnlichem Schicksal - Shoshana Johnson - vergaßen die Medien, und nicht nur sie.

Hier geht es um zwei Frauen aus derselben Einheit und im selben Krieg. Alles in ihrem Armeedienst ist gleich, auch das große Risiko. Und doch besteht eine enorme Zweischneidigkeit, wie das Militär die beiden behandelt hat.« Der berühmte Bürgerrechtsaktivist Jesse Jackson sprach vor kurzem als erster prominenter US-Amerikaner öffentlich aus, was viele Angehörige ethnischer Minderheiten in den USA seit langem hinter vorgehaltener Hand munkeln: dass in der USA-Armee trotz der Lehren aus dem Vietnamkrieg, die das Pentagon angeblich gezogen hat, der Rassismus grassiert. Jesse Jackson bezog sich in seiner Erklärung, die er dem Weißen Haus, dem Verteidigungsministerium und Kongressmitgliedern vorzutragen gedenkt, auf die beiden Soldatinnen Shoshana Johnson und Jessica Lynch, die im Frühjahr vorübergehend in irakische Kriegsgefangenschaft geraten waren. Während Lynch unter eifrigen Bemühungen von Pentagon-PR-Strategen und mit Hilfe sensationsgieriger Massenmedien zur Superheldin aufgeblasen wurde, kümmerte sich das angeblich um seine in fremde Hände gefallenen Soldaten so besorgte Amerika um Johnson wenig. Der Grund lässt sich ahnen: Lynch hat eine weiße Hautfarbe, Johnson eine schwarze. Anlass für die trotzdem recht freundlich gehaltene Beschwerde des prominenten Bürgerrechtlers Jackson: Lynch soll von der Armee 80 Prozent ihres Solds als Invalidenzahlung erhalten, Johnson nur 30 Prozent. Was für letztere, gemessen an ihrem mageren Grundsold von 1500 Dollar, eine monatliche Zahlung von rund 500 Dollar bedeutet. Ein Rückblick: Jessica Lynch und Sho-shana Johnson taten ihren Dienst in einer Versorgungseinheit jenseits der Kampflinien in Irak. Ihr Risiko schien nicht sehr groß. Doch am 23. März gerieten sie zusammen mit weiteren Soldaten völlig unerwartet südlich von Nasirija in einen Hinterhalt. Elf USA-Soldaten starben, sechs wurden gefangen genommen. Tags darauf strahlte das irakische Fernsehen Bilder der verängstigten Shoshana Johnson aus, die während ihres Verhörs entstanden waren. Jessica Lynch kam am 2. April frei, 12 Tage später die anderen fünf Gefangenen, darunter auch Johnson. Die USA-Medien erfanden daraufhin, immer unter Berufung auf »Militärkreise«, das Bild der heroischen weißen 19-Jährigen, die »wie eine Löwin« gekämpft habe, um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Danach sei sie von Saddam Husseins Folterknechten gequält und schließlich von einer tapferen USA-Sondereinheit im Dunkel der Nacht aus den Händen ihrer Peiniger befreit worden. Lynch erfuhr alle möglichen militärischen Ehren, sie wurde zur Titelheldin der Magazine, zum Sexsymbol und zum Gegenstand einer aufwändigen »Fernsehdokumentation«. Buchverträge und großzügig honorierte Interviews folgten. Anders die 30-jährige Shoshana Johnson aus El Paso in Texas. Von ihr kannte man nur besagte Bilder aus der Gefangenschaft sowie ein weiteres, das sie humpelnd nach ihrer Freilassung zeigt, gestützt auf zwei USA-Soldaten. Zur Schlagzeile wurde ihr Schicksal erst wieder, als die »Washington Post« Ende Oktober auf die Ungleichbehandlung der beiden Frauen aufmerksam machte, und als Jesse Jackson sich des Johnson-Falles annahm. Erst seit die Opferzahlen in Irak auf US-amerikanischer Seite nicht mehr zu ignorieren sind und sich die Massenmedien bereinigte Fassungen vom Kriegsverlauf nicht mehr leisten können, kommen Rassismus und Kriegsalltag allmählich an die Oberfläche - bis hinein in die Fernsehstuben von Boston bis Phoenix. Die »US Army« bestreitet indes heftig, dass die Hautfarbe ihrer Angehörigen bei der Zumessung des Invalidengeldes eine Rolle spielt. Lynch und Johnson seien eben aufgrund unterschiedlich schwerer Verletzungen verschiedenen Kategorien zugeordnet worden, heißt es. Und überhaupt sei Johnsons Invalidität - Schusswunden in beiden Beinen, Trauma und Depressionen - noch nicht eindeutig kategorisiert. Der »Fall Johnson« ist mittlerweile von Mitgliedern des afroamerikanischen Komitees im Repräsentantenhaus aufgegriffen worden, was Hoffnungen auf eine Besserstellung geweckt hat. Und nicht zuletzt hat Jessica Lynch persönlich in einem Fernsehinterview am »Veteranentag«, dem 11. November, ihrem Mythos ein Ende gesetzt. Das Pentagon habe sie benutzt, »um all dieses Zeugs zu symbolisieren«, sagte sie auf ABC. »Seinem Land zu dienen« heiße doch nur »Verlust«. Sie sei in irakischer Kriegsgefangenschaft nicht misshandelt worden, erklärte die junge Frau aus dem Bundesstaat West Virginia. Bei ihrer Gefangennahme habe zunächst das Gewehr geklemmt, sie habe kein einziges Mal geschossen. Und im irakischen Krankenhaus, aus dem sie »befreit« wurde, sei sie »weder geschlagen noch geohrfeigt worden«. Sie sei vielmehr liebevoll behandelt worden. Eine Krankenschwester habe sie jeden Abend mit einem arabischen Lied in den Schlaf gesungen. Zuletzt stellte sich heraus, dass Jessica Lynch am ganzen Körper Narben hat, die auf einen Auffahrunfall während ihrer missglückten Flucht vor irakischen Soldaten zurückzuführen sind, und täglich 18 Pillen schlucken muss. Dazu kommt ein mit Metallstücken gespicktes Bein. Sie ist eine von mehr als 7000 Frührentnern, die der Irakkrieg auf US-amerikanischer Seite bisher hervorgebracht hat. Eine weitere ist ihre Kollegin Shoshana Johnson. Beide Frauen haben einander besucht, und aus Johnsons Familie wurde eine Erklärung bekannt, wonach »Jessica Lynch nichts weggenommen werden sollte. Wir wünschen...

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