nd-aktuell.de / 20.11.2003 / Politik

Böse Schlepper oder gute Schleuser?

Gemeinhin gelten »Schlepper und Schleuser« als Kriminelle, die sich am Leid anderer bereichern. Für den gleichnamiger Bundesverband (schleuser.net) liegt das Problem hingegen bei denen, die aus dem Negativ-Image der »Fluchthelfer« grenz- und innenpolitisches Kapital schlagen. Mit Ralf Homann, 35, sprach Tom Strohschneider über Migration, Symbolpolitik und verschiedene Realitäten.
ND: Der Bundesverband Schleppen & Schleusen sieht sich als Lobbyorganisation für Unternehmen, die sich auf Hilfe beim illegalen Grenzübertritt spezialisiert hat. Nicht nur Medien bezeichnen dies als »organisierte Kriminalität«.
Wir sprechen nicht von illegalem Grenzübertritt sondern von undokumentiertem grenzüberschreitenden Personenverkehr.

Wo liegt der Unterschied?
Mit der Sortierung von Menschen nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit haben sich auch die Regelwerke für Staatsgrenzen verändert: Der gewollte, weil als wirtschaftlich angesehene Personenverkehr wird gefördert, derjenige von als unnütz abgestempelten Menschen unterbunden und, weil dies kaum möglich ist, illegalisiert. Dadurch zerfällt der Grenzverkehr in einen dokumentierten und einen undokumentierten Sektor.

Was zunächst einmal nichts am negativen Image von Schleppern ändert.
Das negative Image ist erst in den letzten zehn Jahren in Folge einer massiven Kriminalisierung des undokumentierten Personenverkehrs geformt worden, einhergehend mit einer Verfolgung von Schleppern. War der »Fluchthelfer«, etwa aus der DDR in die BRD, noch bis Ende der 80er Jahre ein Held, dem sogar der Bundesgerichtshof »billigenswerte Motive« zusprach, redet man heute fast nur noch von Kriminellen. Faktisch besteht ein Bedarf von Punkt A nach Punkt B zu gehen und unsere Mitglieds-Unternehmen stellen dafür die professionelle Dienstleistung. Übrigens ein Wachstumsmarkt. Was das Bild angeht: Wie in jeder Branche gibt es schwarze Schafe. Dass alle Schleuser als kriminell gelten, hat aber mehr mit der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit zu tun, die sich von der Realität weitgehend abkoppelt.

Und wie sieht diese Realität aus?
Ein Beispiel: Eine Standardfigur aus Polizeiberichten ist immer, dass der Bundesgrenzschutz oder andere Behörden in der EU, Flüchtlinge aus den Fängen eines Schleusers oder Schleppers befreit hätten. Sozusagen der Grenzpolizist als Held, der Flüchtlinge, Migranten befreit. Tatsache ist hingegen, dass diese »Befreiung« immer nur zu Gunsten einer anschließenden Haft in Abschiebe-Anstalten oder einer Abschiebung erfolgt.
Man muss sich also fragen, inwieweit Sicherheitspolitik mit angeblichen Gefahren begründet wird: Regierungen verabreden international die Sanktionierung von Migration. Diese Verabredung muss dann in demokratische Gesetze gegossen werden - wozu entsprechende Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird, damit die Parlamente und der Wählerwillen die Entscheidungen nachvollziehen. Dieser Symbolpolitik entgegenzuwirken, sehen wir als unsere Aufgabe.

Wobei es schwer fällt, das Vorhaben in Gänze ernst zu nehmen. Liegt hier nicht eher ein Fall von politischer Kunst, von Kommunikationsguerilla vor?
Wir sind ein Verband der Wirtschaft und betreiben Öffentlichkeitsarbeit. Dieser Tage startet im österreichischen Graz eine internationale Schleusertagung, die unser Verband veranstaltet. Die Tagung versteht sich als interdisziplinärer und öffentlicher Think-Tank zu den Fragen von Migration und dem produktiven Verhältnis von Kunst und Politik.

Und doch wird, wer vom Bundesverband Schleppen & Schleusen hört, zunächst verunsichert sein. Ein Problem?
Nein, im Gegenteil. Die Verunsicherung erlaubt eine Zuspitzung der Debatte über Migration, illegalisierte Flucht und Fluchthilfe-Unternehmen.