Überzeugung und Parteidisziplin

Generale und Admirale der NVA - 19 biografische Skizzen

  • Reinhard Brühl
  • Lesedauer: 5 Min.
Und wieder ist im Ch. Links Verlag ein NVA-Buch erschienen. Diesmal werden 19 Generale und Admirale der Kasernierten Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee vorgestellt. Sie hatten - ausgenommen Rudolf Bamler - maßgeblichen Anteil am Aufbau und/oder der Entwicklung der Streitkräfte des Landes. Die Armeegenerale Heinz Hoffmann und Heinz Kessler gehörten einige Jahre dem obersten Führungsgremium der DDR, dem Politbüro des ZK der SED, an. Zugleich waren sie und auch Generaloberst Fritz Streletz Mitglieder in militärischen Führungsgremien des Warschauer Vertrages. Die Herausgeber sprechen von einer Gründer- und einer Aufbaugeneration der NVA. Zu ersterer zählen sie die Altkommunisten Friedrich Dickel, Rudolf Dölling, Heinz Hoffmann, Willi Stoph, Waldemar Verner und Kurt Wagner und die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere Rudolf Bamler, Bernhard Bechler, Arno von Lenski, Vincenz Müller und Heinz Bernhard Zorn. Der Aufbaugeneration ordnen sie Wilhelm Ehm, Theodor Hoffmann, Heinz Keßler, Erich Peter, Fritz Peter, Wolfgang Reinhold, Horst Stechbarth und Fritz Streletz zu. Der Band stützt sich auf eine breite Quellenbasis und ist in einem flüssigen Stil verfasst. Die Skizzen gehen auf soziale Herkunft, Bildung, vormilitärischen Werdegang und vor allem Berufsmotivation ein. Die konkret-historischen Rahmenbedingungen der vorgestellten Lebenswege werden jedoch meist nur kurz gestreift. Dahingegen finden Charaktereigenschaften ausführliche Beachtung und Bewertung. Militärische Leistungen werden sachlich, teils mit gewissem Respekt dargestellt, teils jedoch wieder relativiert durch die Grundposition der Herausgeber, die Porträtierten hätten letztlich der Festigung einer repressiven Diktatur gedient. In diesem Zusammenhang werden auch einige Fälle der verdeckten Kooperation mit dem MfS sowie der Überwachung durch dieses erwähnt. Die Herausgeber betonen, dass die Autoren »um strenge Sachbezogenheit in der Rekonstruktion fremder Leben bemüht« waren, aber, »wo ihres Erachtens notwendig, Werturteile nicht gescheut« haben. Das ist legitime Aufgabe von Biografen und wird auch erwartet. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch mitunter, wenn Biograf und Porträtierter in gleicher Weise Zeitzeugen sind, Emotionen unweigerlich mitschwingen. Werturteile sind subjektiv und lassen nicht selten Rückschlüsse auf den Autor, seine Herkunft, seinen Standort zu. So ist auch hier zu erkennen, bei welchem Autor neben notwendiger Aktenkenntnis auch Lebenserfahrung in der DDR oder Insiderwissen aus der NVA und damit kritisches Verstehen die Feder führten, und bei wem bundesdeutsche Sozialisation oder gar delegitimatorisches Anliegen die Darstellung beeinflussten. Generell sind Zweifel angebracht, ob sich die Akten der Gauck-Birthler-Behörde als Hauptquelle für Werturteile empfehlen. Die Skizzen verdeutlichen, dass sich die Motivation der Generale und Admirale aus Herkunft und eigenen Erlebnissen speiste und bestimmten gesellschaftspolitischen Wert- und Zielvorstellungen entsprach. Bei Altkommunisten mag es die Einsicht in die Forderung der Partei gewesen sein, die erkämpfte Macht nicht wieder zu verspielen. Ehemalige Offiziere der Wehrmacht dürfte vor allem die Lehre aus dem faschistischen Raub- und Eroberungskrieg geprägt haben. Die Männer aus der »Aufbaugeneration« mochte daneben auch der (berechtigte) Wunsch nach einer sicheren beruflichen Existenz motiviert haben. Darüber hinaus gab es Gründe, die den Generalen/ Admiralen aller drei Gruppen gemeinsam waren. Sie werden in den Skizzen eher nur angedeutet als hervorgehoben. Da war zum einen ihre Bereitschaft, zu gesellschaftlichen Bedingungen beizutragen, die eine Wiederholung der Vergangenheit unmöglich machten. Und da war zum anderen ihre Haltung zur DDR, in der sie einen Staat der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens sahen, der in ihren Augen verteidigungswürdig war. Solche Motive wollen die Herausgeber dieses Bandes jedoch nicht gelten lassen und meinen gar, dies könnte nicht die ehrliche Überzeugung der hier Porträtierten gewesen sein. In ihrem einleitenden Aufsatz zur Konzeption des Buches belegen die Herausgeber die DDR nur mit den Begriffen »SED-Staat«, »Geheimhaltungsstaat« sowie »Polizei- und Überwachungsstaat«. Es ist ihnen nicht der Erwähnung wert, dass die DDR ein international anerkannter und ob seiner Friedenspolitik von vielen Staaten geschätztes Mitglied der Weltgemeinschaft war und das Recht auf Selbstverteidigung ein legitimes ist. Sie fixieren sich auf die Innensicht und vernachlässigen die notwendige Einbettung in das deutsch-deutsche Verhältnis und internationale Beziehungsgeflecht. An der Trennlinie der Einflussbereiche von Warschauer Vertrag und NATO standen sich in Zentraleuropa über Jahrzehnte die stärksten Militärgruppierungen der beiden Militärbündnisse gegenüber. Der Friede war nie sicher, manches Mal stand man bereits am Rand eines atomaren Abgrunds. Beide Seiten in der System- und Blockkonfrontation konnten den »schlimmsten Fall« nicht ausschließen, waren aber im Wissen um dessen unabsehbare Konsequenzen darum bemüht, die Katastrophe zu verhindern. Vorbereitung auf einen möglichen Ernstfall sowie Friedenssicherung waren also die (scheinbaren) Gegensätze, die nicht nur Offiziere in der DDR bewegten. Der im Buch verwendete Begriff »Parteisoldat« ist nicht ganz unberechtigt. Offiziere der NVA bekannten sich zur führenden Rolle der SED und übten Parteidisziplin. Doch auch in der NVA weitete sich die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Im Falle einiger vom Politbüro und vom Nationalen Verteidigungsrat gegebenen Weisungen zur Grenzsicherung wäre Widerspruch notwendig gewesen. Kritik an der SED-Politik wäre jedoch nicht nur als Aufbegehren gegen das Politbüro, sondern auch gegen die politische und militärische Führung Moskaus gewertet worden. Für die Generale und Admirale schon deshalb undenkbar, weil - wie Ungarn 1956 und die CSSR 1968 zeigen - ernste Konsequenzen für die DDR zu befürchten waren. Auch insofern ist die Frage zu stellen, weshalb man den Offizieren der NVA nach der deutschen Vereinigung ihre soldatischen Rechte aberkannte und sie - wie im einführenden Beitrag zu lesen - »im Eiltempo abgewickelt« und an das »Ende der Sozialhierarchie« gedrängt hat. Die Lektüre dieses Bandes gibt Anregungen zu kritischem Nachdenken über die jüngste deutsche Militärgeschichte bis in unsere Tage. Hans Ehlert/Armin Wagner: Genosse General! Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen. Ch. Links Verlag, Berlin 2003. 629 S., geb., 29,90 EUR.
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