»Vorher und jetzt«

Brigitte Giraud schreibt aus eigenem Erleben

  • Raphaela Kula
  • Lesedauer: ca. 1.5 Min.
Heute Abend ist Claude gestorben. Ich habe ihn geliebt. Mein Leben endet und beginnt gleichzeitig. Um das Ereignis nicht direkt benennen zu müssen, sage ich vorher und jetzt«, so beginnt Brigitte Giraud ihren Roman, der auf ihrem eigenen Erleben beruht. Es ist Sommer, in den Ferien sind im neuen Haus allerlei Arbeiten erledigt worden, der Umzugstermin ist festgelegt, die Freunde werden helfen, nur noch eine kurze Buchpräsentation in Paris. Doch während die Frau im Zug auf der Rückreise ist, verunglückt der Ehemann tödlich mit dem Motorrad. »Da fahre ich nach Paris und er stirbt. Ist er deshalb gestorben?« Gedanken, Eindrücke, Gefühle in der einen Woche zwischen Tod und Beerdigung werden beschrieben. Brigitte Giraud findet Worte für das Unfassbare, den Schockzustand, das Unbegreifliche, gleichzeitig das mechanische Weiterleben, das Organisieren des Alltages, der Beerdigung: Wie soll die Leiche gekleidet sein? Was soll in der Trauerrede gesagt werden? Wie geht das Kind mit dem Verlust um? Das anstrengende, sinnlose Verhandeln um die passende Musik während der Trauerfeier. Wie konnte es zu dem Motorradunglück kommen, was für einen Sinn hat die Rekonstruktion des Unfalls? Wo und wie finden seine Sachen in dem neuen Haus den richtigen Platz? Fast teilt man beim Lesen das beständige Gefühl der Irritation, eine Rolle, die so gänzlich unbekannt ist, nicht angemessen auszufüllen. So klar und eindringlich, wie Brigitte Giraud erzählt, wirkt sie ganz unsentimental, ja mitunter sogar fast teilnahmslos. So als beobachte sie eine Unbekannte, die sie für sich ja jetzt tatsächlich ist. Auch darin liegt die Leistung dieses Romans: in dieser Sprache, die gleichsam die Fassungslosigkeit über den plötzlichen, tragischen Schnitt, die Konfrontation mit dem Tod, in sich trägt. Es ist ein Roman über das Dazwischen, den Zustand zwischen Schock und Begreifen, was ein Leben ohne die geliebte Person bedeuten könnte. »Wir gehen zum Portal des Friedhofs hinaus. Ohne ihn, wir gehen zu mir, um noch ein paar Stunden zusammen zu sein. Nun gibt es ...

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