Zwei Säcke Geld...

Literaturforum Berlin: Häuptling Galsan Tschinag

  • Ulrike Grohmer
  • Lesedauer: 2 Min.
Galsan Tschinag hat in diesem Jahr bereits zweimal Geburtstag gefeiert - am 1. Januar ist er wie alle Buddhisten ein Jahr älter geworden, und am Mittwochabend traf er sich mit Berliner Lesern im Literaturforum des Brechthauses. Vier ähnliche Gespräche, die er Feiern nennt, werden folgen, bevor er dann am 26. Dezember die Wiederkehr jenes Tages begeht, den er Anfang der 60er Jahre während seines Studiums in Leipzig als Tag seiner Geburt angegeben hatte. Diesem wird in dem Turkvolk der Tuwa kaum Aufmerksamkeit zuteil, und so ist es dem Schriftsteller auch nicht sehr wichtig, wo genau er geboren wurde. Galsan Tschinag lebt heute als Stammeshäuptling der Tuwa in den Steppen am Fuße des Altai. Alljährlich im Herbst reist er nach Europa. Hier publiziert er, zum Beispiel im Suhrkamp Verlag die auf Deutsch geschriebenen Romane und Prosatexte - erinnert sei an »Die Karawane« und »Der Wolf und die Hündin« -, seine zunächst in der Sprache der Tuwa entstehenden Gedichte hingegen vor allem im schweizerischen Waldgut-Verlag. Der erste Germanist der Mongolei hat in der DDR studiert und als junger Mann angefangen zu schreiben. Einen Dichter hat ihn schon Erwin Strittmatter genannt. Über Literatur wurde im Brechthaus dennoch relativ wenig gesprochen, der Dichter erzählte vor allem aus seinem Leben. Die Zuhörer im Literaturforum wurden gut unterhalten. Beispielsweise berichtete der Dichter, wie er das Volk der Tuwa in das Land der Väter am Fuße des Altai zurückführte. Er habe sich Mitte der 90er Jahre verpflichtet gefühlt, etwas für sein Volk zu tun. Die Tuwa waren Ende der 50er Jahre nicht zwangsumgesiedelt worden. Man hatte sie lediglich dringlich aufgefordert, doch einige Zeit in der Zentralmongolei zu arbeiten. Nach drei Jahren wollten die Regierenden für die kostenlose Rückkehr sorgen. Ein Versprechen, an das sich niemand mehr erinnerte, die Stammesunterlagen wurden vernichtet. Heute leben in den Steppen des Hohen Altai wieder 2000 Tuwa. Der Dichter erzählte, wie er Anfang 1995 alle seine Devisen in 80 Kilogramm Landeswährung eintauschte und für zwei Säcke voller Geld Pferde und Kamele kaufte. Am 1. März 1995 setzten sich 150 Menschen, sechs Autos, 350 Pferde, 130 Kamele, 30 Hunde und 16 Hühner in Bewegung. 62 Tage dauerte es, bis die Karawane ihr 2000 Kilometer entferntes Ziel erreicht hatte. Es war faszinierend, wie dieser Mann die Zuhörer in seine Welt führte, sie verzauberte, indem er auf seine Weise Auskunft gab: Von der Begegnung mit den Viehdieben zum Beispiel, die der Karawane mehr als einmal Tiere abjagen wollte. Tschinag ließ sie nicht erschießen. Er wollte in die neue Heimat keine Toten mitnehmen, lieber habe er auf einige Kamele verzichtet.
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