Du Neger bist so super!

»Der Kampf des Negers und der Hunde« von Bernard-Marie Koltès an Berlins Volksbühne

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwei Stunden regnet es farbige Blätter auf die weite Bühne, die bis zum Rundhorizont leer ist. Unablässig dieses Aufblitzen und Niedertrudeln bunter Schnipsel. Das zieht auf Dauer wie eine sanfte Droge über die Augen. Als schicke der Himmel Anmut auf Anmut - in der Hoffnung, sie sinke da unten in Seelen; aber diese Anmut wird von den Menschen - unbeholfene Hüpflinge, Grapscher, Stumpfkörper - nicht aufgenommen. Afrikas Tanzen, Afrikas Flirren, Afrikas Leichtigkeit - es ist nur noch eine Luftnummer in dieser Welt. Bloß noch ein Bühnenbodenschatz. Dimiter Gotscheff hat in Castorfs Volksbühne Bernard-Marie Koltès »Der Kampf des Negers und der Hunde« inszeniert. Auf einer französischen Baustelle in Afrika dringt ein Schwarzer darauf, die Leiche seines Bruders ausgeliefert zu bekommen. Den hatte ein Ingenieur im Jäh erschossen. Ingenieur und Baustellenleiter winden sich in Verschleierung und Rassenhass; der Schwarze lässt nicht locker, und zwischen beiden Parteien steht eine schwärmerische Französin (Almut Zilcher), die dem Baustellenleiter »gehört«, sich aber überraschend anderweitig verliebt - »Neger, du bist so super!« Der französische Dramatiker starb 1989, 41-jährig, an Aids. Seine Gestalten sind Verirrte und Verwirrte im Niemandsland der Alltagsängste. Sie greifen aufgelöst und verunsichert nach der Wahrheit, die kaum mehr als eine theatralische Hypothese bleibt. Einsamkeit und Wüste sind Schlüsselbegriffe einer Dramatik, die atemlos und mit verbaler Finesse die Ohnmacht der Außenseiter umkreist. Unterhöhlt werden jene Bastionen aus Sinn, der doch nur Ausbeutung heißt, und jene Festungen aus Kraft, die Vernichtung bedeutet. Afrika als Beleg für Hitlers heutige globale Siege: Selektion eines ganzen Kontinents. »Hau ab!« dröhnt zum Schluss ein Jugend-Chor, Kaugummi schmatzend, gegen den dahockenden Schwarzen. Samuel Finzi spielt diesen Neger und offenbart sofort den Kern der Inszenierung: souveränes Abfeiern der weißen Klischees über Schwarze. Das Stiere. Das Wortgemulme. Das Wollkraut auf dem Kopf. Schließlich: tierischer Gang, bis das, was eben noch Mensch war, unter Wagner-Klängen als Gorilla aus den Kulissen kommt. Den Baustellenleiter gibt Wolfram Koch mit der nöligen Wendigkeit des Opportunisten, der seinen Rassismus hinter einem Stroh-Rock überm Anzug verbirgt - was die Entwürdigung der fremden Kultur nur makaber steigert. In einer aberwitzigen Szene zwischen Finzi und Koch versucht der Weiße, Gesprächssitten der Schwarzen zu erahnen und ihnen gerecht zu werden. Was der Schwarze mit diebischer Freude ausnutzt, indem er sich mit Whisky die Füße begießt, herumspuckt - und Koch in albernste Nachahmungen treibt. Man kann Koltès gewiss auch anders inszenieren. Mit weit mutigerer Entschiedenheit, das Geheimnis zu belassen, zu dem diese Gestalten, trotz aller Demontagen, verurteilt bleiben. Mit weit größerer Hingabe an diesen Spiralnebel von Bildern und Worten - als schössen die verlorenen Monologwellen aus einem sehr, sehr fremden Hirn über alle Beteiligten hinweg auf die Bühne. Ins Leere. Aber Gotscheff hat dafür etwas getroffen, was nicht minder stark ist: eine sehr spielerische Balance zwischen Flehen und Fluchen, zwischen Verzweiflung und blödestem Witz. Koltès besagte einsame Sprachschwälle, hineingetrieben in das Klangmaterial der syntaxarmen Umgangssprache - sie verbinden sich mit dem Volksbühnen-Prinzip des privat anmutenden, aber dadurch so hochkünstlich wirkenden Stegreifs. Was vor allem Milan Peschel als eiskalter, dann jammrig schreiender Ingenieur beherrscht. Der ein minutenlanges Aufzählen jener Orte, die er in der Welt schon bereiste, für einen besonders prickelnden Flirt hält. Der mit einem kindlichen Lächeln, als sei auch dies ein Blütenregen, den Ekel vor dem ewigen Spucken der Schwarzen zum Albtraum eines alle verschlingenden Ozeans des unwerten Lebens entwickelt. Vor einiger Zeit inszenierte Klaus Michael Grüber am Wiener Akademietheater Koltès »Roberto Zucco«, Porträt eines Polizistenmörders. Verwirrendes Theater, das nach der Aufführung unversehens im Gedächtnis zu arbeiten begann. Dort langsam sank und Wirkung anrichtete - und man konnte sich wundern, wie tief doch so etwas in einem selber sinken kann. Die Wirkung von Kunst liegt immer einzig in der Möglichkeit, über sich selbst staunen, erschrecken zu können. Gottscheff ist direkt. In gewisser Weise - dies aber mit großartigen Szenen - erledigt er das Stück. Die Menschen sind durchsichtig bis hinters Rückgrat. Klare Fälle. Schnell durchschaut. Was ja keinesfalls bedeutet, dass man nicht etwa interessiert bis gespannt zuschauen würde. Streckenweise. Und immer rieselt der Blütenschnee. Die Weißen wischens weg, als verscheuchten sie Insekten. Wären diese Schnipsel Blätter von Rosen, ach, vergeblich, im Menschenherz würde doch immer nur der Dorn heimisch. Weiter heute, am 23. und 28. November.
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