Scheinfrage vor dem Schiedsamt

Krankenkassen und Ärzte können sich über Praxisgebühr von 10 Euro nicht einigen

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.
Die ab Januar 2004 in Kraft tretende Praxisgebühr von 10 Euro erhitzt die Gemüter der Ärzteschaft. Sie soll nach Meinung von Politik und Krankenkassen die Scheine eintreiben. Das jedoch wollen die meisten Mediziner nicht. Gestern riefen beide Kontrahenten das Bundesschiedsamt an.
Volle Wartezimmer in den Arztpraxen und die Vergabe von Zahnarzterminen erst ab Mitte Januar zeugen davon, wie sich einige Patienten auf das In-Kraft-Treten des Gesundheitsreformmodernisierungsgesetzes ab dem 1. Januar 2004 einstellen. Sie versuchen, wenigstens im ersten Quartal um die Praxisgebühr von 10 Euro herumzukommen, die jeweils beim ersten Besuch eines Zahnarztes und eines Arztes fällig wird. Viel mehr ist ohnehin nicht zu machen. Gesetz ist Gesetz. Auch die niedergelassenen Ärzte mussten sich nach erfolglosen Protesten ihrer Standesorganisationen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens damit abfinden, dass es diese Gebühren geben wird, mit denen der Gesetzgeber das eigenverantwortliche, kostenbewusste Verhalten der Verbraucher erhöhen und das in seinen Augen verbreitete kostspielige »Ärztehopping« vermeiden will. Einige Fachleute, Gewerkschafter, PDS-Politiker und kritische Mitglieder vieler anderer Parteien halten die ganzen zusätzlichen Zahlungen ab dem nächsten Jahr lediglich für einen weiteren Weg, um die Kranken zur Kasse zu bitten - ohne dass sich dadurch die Behandlung verbessern würde. Auf die Gefahr, dass Kranke auf den Arztbesuch oder auf Medikamente verzichten, ihre Krankheit verschleppen und infolgedessen höhere Behandlungsgebühren anfallen, verweisen zudem Studienergebnisse aus Kanada und den USA. Allein die Vermeidung überflüssiger und medizinisch nicht notwendiger Behandlungen könnte etwa 35 Milliarden Euro sparen, kritisiert der DGB. So seien ein Drittel aller Röntgen- und Ultraschall-Untersuchungen überflüssig. Die Ausgaben ließen sich durch bessere Vorbeugung bis zu 30 Prozent senken. Doch die Sinndebatte ist von gestern. Heute geht es darum, sich in den Praxen geeignete Instrumente zur Geldverwahrung, Gebührenüberprüfung und Quittungsausgabe anzuschaffen. Allgemeinmediziner Dr. Matthias Eyck aus Berlin will keine Registrierkasse kaufen, in die man einzelne Warengruppen eingeben kann. Er wird diese »bürokratische und die zwischenmenschlichen Beziehungen belastende« Einnahme der Praxisgebühr mit einem Schein bestätigen, auf den sein Arztstempel gedrückt wird. Der Mediziner befürchtet, dass die ganze Sache für eine schlechte Stimmung in den Praxen sorgen wird und als Einstieg in die weitere Verringerung der ärztlichen Honorare dient. Dass das Bundesschiedsamt eine Entscheidung fällt, die niedergelassene Ärzte noch von der Inkassopflicht der Praxisgebühren befreien könnte, sieht er nicht mehr: »Die Messen sind gesungen«, resümiert der Arzt. Das sehen wohl auch die meisten gesetzlichen Krankenkassen so. Der Gesetzgeber habe gewollt, dass diese Gebühren von den Ärzten eingezogen werden, erklärt Rainer Eickel vom Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen, und so solle es auch geschehen. Er glaube nicht, dass das Bundesschiedsamt eine andere Entscheidung treffen wird. »Das Inkassorisiko kann nur dort sein, wo die Gebühr kassiert wird.« Offenbar sind bei den Ärzten die Befürchtungen groß, dass Patienten nicht zahlen und dennoch behandelt werden müssen. In solchen Fällen müssten sie den Säumigen hinterherlaufen. Es ist kaum anzunehmen, dass die Krankenkassen, die das Arzthonorar mit den eingenommenen Praxisgebühren verrechnen, für die Pflichten ihrer Versicherten aufkommen wollen. Im Bundesgesundheitsministerium sieht man die Debatte gelassen und glaubte bis vor kurzem noch an eine Einigung zwischen den Streitenden. Für die von den Patienten privat zu zahlenden Leistungen müssten schließlich auch Gelder in der Praxis kassiert werden, so eine Sprecherin. Und sie habe noch keinen Arzt gehört, dem dies lästig geworden sei. In einer ersten Verhandlungsrunde hatten sich KBV und Krankenkassen darauf geeinigt, dass die Praxen säumigen Patienten lediglich ein Mahnschreiben zusenden müssten und das weitere Mahnverfahren den Krankenkassen bzw. den regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen überlassen könnten. Diesem Vorschlag hatte aber das Bundesgesundheitsministerium widersprochen. Gestern nun erfolgte der Anruf des Bundesschiedsamtes durch die Krankenkassen, wie der Geschäftsführer Gesundheit im Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), Johann Magnus Stackelberg, gegenüber ND bestätigte. Das gleiche gilt für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), so ihr Sprecher Roland Ilzhöfer. Das Bundesschiedsamt ist ein ständiges Schlichtungsgremium auf Bundesebene im vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Bereich, dem je 7 Vertreter der Ärzte und der Kassen angehören. Den Vorsitz haben drei neutrale Personen. Der AOK-Bundesverband rechnet damit, dass spätestens in der zweiten Dezemberwoche über die gegenteiligen Anträge von Kassen und Ärzten beraten wird. Für Fragen zur Krankenversicherung hat das Gesundheitsministerium ein kostenloses Bürgertelefon eingerichtet: Montag bis Donnerstag von 8 bis 20 Uhr unter 0800-1515159
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