Die Republik auf dem Weg zur Dynastie?

Der Stern der Jolanta Kwasniewska steigt

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Zunächst war es ein Scherz, doch sind daraus längst ernsthafte Überlegungen geworden: Nächstes Staatsoberhaupt Polens könnte Jolanta Kwasniewska werden, die Gattin des derzeitigen Präsidenten.

In jüngsten Umfragen nehmen Polens Sozialdemokraten erstmals seit sechs Jahren nicht mehr die Spitzenposition ein. Mit 18 Prozent liegt das seit zwei Jahren regierende Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) zwei Punkte hinter der Bürgerplattform (PO), einer Sammlung von Überläufern aus verschiedenen Solidarnosc-Ablegern. Kaum jemand räumt dem SLD noch Chancen auf einen Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen ein. Fragt sich, ob die Linke im Jahre 2005 wenigstens das Präsidentenamt retten kann. Diese Frage wird seit einiger Zeit mit der Person Jolanta Kwasniewskas verbunden, der Gattin des jetzigen Präsidenten. Ihr Name wird schon lange an der Kandidatenbörse gehandelt. Doch zunächst waren das nur flache Salonscherze oder klammheimliche Spekulationen. Als aber immer offensichtlicher wurde, dass nach Ende der zweiten Amtszeit Kwasniewskis niemand aus dem linken Establishment hoffen kann, die Nachfolge anzutreten, begann man an der Weichsel ernsthaft über die »dynastische Frage« nachzudenken. Dies auch im rechten Lager, wo mancher seinen Amtsehrgeiz bedroht sieht. Seit die seriöse Wochenzeitung »Polityka« vor drei Monaten ermittelte, dass Frau Kwasniewska für 34 Prozent der Befragten eine ernsthafte Kandidatin für das höchste Amt im Lande wäre und dass alle übrigen Anwärter zusammengenommen weniger Zuspruch fänden, hat das Thema »Jolanta« den anekdotischen Rahmen gesprengt. Am Montag titelte die Tageszeitung »Rzeczpospolita« in großen Buchstaben: »Ein Knock out von der ersten Dame«. Über 54 Prozent der Polinnen und Polen würden nach neuesten Erhebungen Jolanta Kwasniewska bereits im ersten Wahlgang zur Nachfolgerin ihres Aleksanders wählen. Dieser enorme Popularitätsschub wurde registriert, nachdem Frau Kwasniewska vor zwei Wochen in einem Rundfunkgespräch wissen lassen hatte, dass sie eine Teilnahme an der Staatspräsidentenwahl nicht ausschließe. Nach den vielen Sympathiebekundungen könne sie auf die überall, im In- wie im Ausland, gestellte Frage nach ihrer Kandidatur zwar noch keine bindende Antwort geben, sagte Frau Jolanta, aber sie betrachte die Politik immerhin nun anders als bisher. Namhafte Frauen aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft äußerten sich in verschiedenen Gesprächsrunden bereits zustimmend zur Kandidatur einer Geschlechtsgenossin und plädierten für eine »breite Unterstützungsbewegung« zugunsten Kwasniewskas. Gerade das Fehlen einer »politischen Basis«, ihre Fähigkeit, »mit allen zu reden«, mit linken wie mit rechten Leuten, und ihre Zurückhaltung an der Seite ihres Gatten werden der parteilosen Mittvierzigerin zugute gehalten. Angesichts der allgemeinen Politikverdrossenheit in Polen (über 60 Prozent sind für einen »totalen Austausch der politischen Klasse«) kann das nicht verwundern. Ihr Charme wie ihre effektvolle karitative Tätigkeit für Kinder und Kranke wecken seit Jahren höchstes Interesse einer Millionenleserschaft von bunten Wochenschriften. Selbst die dümmsten Fragen beantwortet Frau Jolanta resolut und höflich. Die studierte Juristin, die sich vor dem Einzug in den Präsidentenpalast erfolgreich auf dem Immobilienmarkt betätigte, versteht sich nämlich auf Öffentlichkeitsarbeit. An Popularität gewinnt sie durch »barmherzige gute Werke« gemeinsam mit bekannten Künstlern und gekrönten Häuptern. Die Sympathie außerparlamentarischer Linker erwarb sie durch ihre Aussage gegen den Krieg in Irak. Mit den Bischöfen steht sie sich gleichfalls gut, und vom Papst erhielt die demonstrativ praktizierende Katholikin bei mehreren Privataudienzen den Segen und etliche Rosenkränze. Mögen die derzeitigen Spekulationen auch verfrüht sein - die Tatsache, dass Frau Jolantas Stern am politischen Firmament aufscheint, ist ein...

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