Kaisers Kleid

Der Sockel eines Denkmals wurde gestern, wie es offiziell hieß, »eingeweiht«. Ein Satz mit Fragezeichen von Anfang bis Ende. Schon die Anlehnung an religiösen Schein macht hellhörig. Werden doch heute selbst Autohäuser und Supermärkte »eingeweiht«. Marketing holt sich Hilfe von oben. Auch für einen Sockel mit nichts drauf. Es gibt jeden Grund, an dieser Stelle am Potsdamer Platz, an der der Kriegsgegner Karl Liebknecht zum Frieden mahnte, diesem ein Denkmal zu widmen. Kurz nach dem Krieg 1951 ebenso wie heute. Dass es über 50 Jahre nicht dazu kam, ist verschiedenen geschichtlichen Gründen geschuldet. Nicht Schwamm drüber, haben Bezirk und Senat gesagt, und so weit kann man folgen. Kein Denkmal, nur ein Sockel. Er soll Stadtgeschichte dokumentieren. Dass sie unvollendet bleibt. Das wäre allerdings zur Geschichte jeder Berliner Ecke festzustellen. Was sagt ein Steinklotz allein an einer Ecke? Gar nichts. Weshalb ihm ein Kommentar auf einer Tafel zur Seite gestellt wird. Auf dass jeder begreifen möge, warum da ein leerer Sockel steht. Erklärungsbedarf bleibt. Der Kultursenator hält diesen Sockel für »genau jene Art von Denkmalskultur«, die heute angemessen sei. Wenn ein Sockel schon Kultur sein soll, kann man auch eine Texttafel auf eine leere Bühne stellen. Das Erinnern an eine gescheiterte Denkmalserrichtung mag ihren eigenen Sinn machen. Damit einen Schlusspunkt zu setzen, ist eine unbefriedigende Antwort. Sie wird kaum besser durch die Deutungsversuche des philosophierenden Senators, der Sockel tauche »wie ein prähistorischer Findling aus Formationsbrüchen der Geschichte heraus«. Das ist seine Interpretation. Sie verändert nichts am Eindruck, das Kleid sei zwar nett, dennoch ist der Kaiser nackt Vielleicht scheint die Zeit für einen Konsens über die Gestalt eines Denkmals nicht geeignet. Dann bliebe Raum, über ...