In der Foltermaschine

»Die sechste Stunde« - Oper nach Franz Kafka in Gera

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 3 Min.
Das hat sich Franz Kafka gewiss nicht träumen lassen: Seine bis in kleinste Einzelheiten genauen und zugleich die Fantasie herausfordernden Erzählungen und Romane bieten nicht nur Stoff für das Schauspiel, sondern auch für das Musiktheater. Die jüngste, im Auftrag des Theaters Gera-Altenburg entstandene Oper »Die sechste Stunde« schuf der niederländische Komponist Johan Maria Rotman frei nach der Erzählung »In der Strafkolonie« und einem Gedicht Baudelaires. Für Gerard Harlemans knappes Libretto, dem der Dramaturg Christoph Klimke einige eigene Texte hinzufügte, muss der Hinweis »frei nach Kafka« betont werden. Kafka lässt in seiner Erzählung den Offizier der Strafkolonie einem Reisenden präzise die vom früheren Kommandanten konstruierte Foltermaschine schildern - und die grausige Art der sechs Stunden währenden Hinrichtung. Die Weigerung des Reisenden, über die Vorgänge zu schweigen, genügt für den seit der Berufung eines neuen Kommandanten unsicher gewordenen Offizier, um in der sechsten, tödlichen, Stunde den jüngst Verurteilten freizulassen und sich selbst in der Maschine zu richten. Die Oper setzt diese Beschreibung als bekannt voraus und begnügt sich zur Charakterisierung des alten Kommandanten und des Offiziers mit protzig gesungenen Phrasen. Die Angst des Offiziers vor dem Reisenden, den er für einen Inspekteur hält, kommt hingegen nur durch wenige Worte zum Ausdruck. So wirkt der plötzliche Selbstmord des Offiziers wenig motiviert. Da hilft auch die von den Autoren erfundene Fremde mit ihren anklagenden Worten wenig. Die Inszenierung entgegnet diesem Mangel, indem der Reisende als Reporter unentwegt seine Videokamera betätigt. Der Verurteilte zeigt sich bei Kafka als zermürbtes, willenloses Subjekt. In der Oper kriecht er schnell in die Uniform des Offiziers und prahlt, »jetzt bin ich wer«. Kafkas Schärfe wird mit diesem Text schwerlich erreicht, eher mit der Musik Johan Maria Rotmans. Der Text wird über weite Strecken deklamatorisch behandelt. Sperrige Intervallführungen schaffen Spannung. Die fördert auch die auf drei Gruppen aufgegliederte Instrumentation (I: Hörner, Oboen und Fagotte, II: Schlagwerk, Klavier und Harfe, III: Streicher). Doch der Gesamteindruck erweist sich als spröde. Für die Inszenierung dieser Uraufführung wurde Johann Kresnik gewonnen. Er beginnt die Aufführung mit Türenknallen: Die Fremde auf der einen Seite und deren von Kresnik erfundenes tänzerisches Alter ego (Daniela Greverath) auf der anderen stürzen schwarz gewandet in den Zuschauerraum. Wie dabei die Tänzerin sich durch und über die Stuhlreihen des großen Geraer Hauses zwängt, ruft stummen Protest hervor. Doch dann geht es ohne Störungen weiter. Das Geschehen wird von der fantasievollen Gestaltung pantomimischer Vorgänge bestimmt. Die für Sopran geschriebene Partie des Offiziers und den Koloratursopran des Kommandanten versteht Kresnik nicht als Überspitzung dieser fragwürdigen Gestalten, sondern er nutzt das, um den Offizier als überdrehtes Frauenzimmer und den Kommandanten als fette Vettel, im Schlussbild mit nacktem Hängebauch vorzuführen. Da kommt unangebrachte Komik auf, wo es blutig ernst zugeht. Das Opernensemble Altenburg-Gera widmete sich dieser Uraufführung mit großem Einsatz und beachtlichem Können. Monique Krüs als Offizier, Teruhiko Komori als Reisender, Christiane Mikoleit als Kommandant, Bernhard Hänsch als Verurteilter und Gerlinde Illich als Fremde bewältigten ihre anspruchsvollen Partien überzeugend. Gabriel Feltz führt die drei Instrumentalgruppen, Solisten und Chorsänger souverän. Es gab viel Applaus - vor allem für die Ausführenden. Weiter: 29.11., 5.12.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal