Spiel mit dem Wind

Rem Koolhaas - eine Ausstellung über seine Bauten, Projekte und Konzepte in Berlin

Content« heißt die neue 600 Seiten starke Diskurs-Offensive des Architekten und Gesellschaftsvermessers Rem Koolhaas. »Content« heißt auch die begleitende Ausstellung, die Koolhaas uvre im Miesschen Glaskubus der Neuen Nationalgalerie präsentiert. Content, also zufrieden, kann der 59-jährige Holländer zur Zeit wirklich sein. Er baut in Peking und Porto, Chicago und Los Angeles, Seattle und Berlin. Hier hat er gerade den renommierten Berliner Architekturpreis 2003 verliehen bekommen - für das Gebäude der Niederländischen Botschaft, die eigentlich jetzt, parallel zur Ausstellung, eröffnet werden sollte. Doch die Fertigstellung verzögert sich bis ins Frühjahr 2004. Und so rückt die Koolhaas gemäßere Bedeutung von content in den Mittelpunkt: Inhalt, Gehalt. Koolhaas hat ein Manifest der Architektur auf Mauern schreiben lassen. Darin bekennt er sich zum Einfluss der russischen Konstruktivisten und begreift mit ihnen »Architektur als Organisation«. Er sinnt darüber nach, wie Architekten sich heute dem ökonomischen und ästhetischen Druck der Bauherren entziehen und selbst wieder kreativ tätig sein können. Er beschreibt, was es für seinen Stand bedeutet, wenn der Auftraggeber schneller zu einer neuen Form mutiert, als das Gebäude, das sein Hauptquartier werden soll, überhaupt fertig gestellt werden kann. Koolhaas hatte für Seagram/Universal einen Gebäudekorpus konzipiert, dessen vertikale Stützen auf Wodka-Flaschen zurückgehen, während die horizontalen Verbindungen Analogien zu Filmstreifen und Notenlinien sind. Doch im Dezember 2000 erwarb Vivendi den Universal Entertainment-Bereich, während die Schnapsfabriken an ein Konsortium u.a. aus Guinness und Pernod verkauft wurden. Die vier Türme, die einst für Whiskey, Wodka, Cognac und Rum standen, mussten zu »allgemeinen Stützpfeilern des Unternehmens« umgedeutet werden. Koolhaas, als Architekt gezwungenermaßen eine virtuoser Jongleur von gestalterischer Ambition in einem Geflecht von technischen Normen, gesetzlichen Rahmenbedingungen, Kosten- und Zeitdruck, zeichnet sich aber auch durch ein Maßnehmen der globalisierten Gesellschaft aus. Schautafeln zeigen die Verbreitung von Filialen von McDonalds und IKEA, Stationen von indymedia.org und Chinatowns außerhalb Chinas. Seine an der Harvard University begonnenen Studien über das Shopping gipfelten im Bau der Prada-Shops. Prägnant Koolhaas Auseinandersetzung mit der »Festung Europa«. 3094 Migranten sollen in den letzten zehn Jahren beim Eindringen in »Schengen Country« zu Tode gekommen sein, behauptet ein Schaubild. Ein anderes listet »Reisekosten« von und nach Westeuropa auf. 400 Dollar zahle ein EU-Bürger für einen mehrtägigen Ausflug nach Budapest, während Flüchtlinge in Kleinbussen, Zügen und von Schleppern geführt 2100 Euro für ein One-Way-Ticket in die umgekehrte Richtung aufbringen müssten. 800 zu 4100 Euro lautet das Verhältnis im Falle Südamerikas, 600 zu 5000 im Falle Indiens, 2000 zu 48500, wenn es um Europa-Lagos oder Lagos-Europa geht. Doch Koolhaas ist nicht nur Diskurs, sondern auch Architektur. Verschachtelt wie eine Wabe, einem kompakten Klangkörper gleichend, die Casa da Musica in Porto, die in Form von Modell und Fotografie gezeigt wird. Eine gezackte Schleife, ein demütig kniender und in der Mitte den Wind durchlassender Wolkenkratzer das Hochhaus für das chinesische Staatsfernsehen CCTV in Peking. Von Durchquerungen dominiert auch sein Erweiterungsbau für das Illinois Institute of Technology in Chicago. Koolhaas hat hier das Privileg, neben der rechteckigen Glashalle von Mies van der Rohe seine eher auf Turbulenzen und Ströme ausgerichtete Konzeption vorzustellen. Der Wind, der beständig über das flache Holland tobt, scheint den Architekten geprägt zu haben. Er will ihn nicht bannen, eher mit ihm spielen, seine Bewegung sanft lenken. Wie eine Mischung aus Irrgarten und Spielplatz mutet so auch die Ausstellungsarchitektur von »Content« an. Koolhaas, der in den 70er Jahren als Student ein Projekt zur Berliner Mauer machte, hat Mies van der Rohes gleichförmigen Raum mit Mauerfragmenten gegliedert. Er schafft so kleine Alleen, aber auch Nischen, in die sich die Besucher zurückziehen können. Ein Aussichtsturm - in der Art, wie sie früher auch auf Westberliner Seite standen - eröffnet den Draufblick auf die künstliche Ansiedlung. Rechts sieht man eine »Verbotene Stadt«, gebildet aus funktionalen Bauklötzen. Links Candida Höfers Fotografien von der Niederländischen Botschaft im Bau. Auch hier sind vor allem Gänge, Durchwegungen, Durchblicke abgebildet. Koolhaas liebt offenbar den Durchblick. Die Ausstellung zeigt, dass er ihn, ohne an Komplexität einzubüßen, zu liefern vermag. »Content« ist daher ein Fest für Geist und Sinne. Die Neue Nationalgalerie ist tatsächlich, wie es Klaus-Peter Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen so vollmundig formulierte, durch K...

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