Das Spiel mit dem Grauen

»The Pillowman« von Martin McDonagh in den Kammerspielen des DT

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Das Unerträgliche darf nicht wörtlich genommen werden. Oder doch? Martin McDonagh, der 1970 in London geborene Dramatiker irischer Abstammung, weicht in seinen schon zahlreichen Stücken verlässlichen Festlegungen auf virtuose Weise aus. So auch in »The Pillowman« (Der Kissenmann): Ein Geschichtenerzähler setzt sich, eher freiwillig als gezwungen, dem Polizeiverhör in einem totalitären Staat aus. Er weiß um die psychische Folter, die ihm bevorsteht, denn er hat sie veranlasst - in seinen Erzählungen geht es um unvorstellbar grausame, mit satanischer Fantasie erfundene Morde an Kindern. Hat aber Katurian, so heißt der Schreiber, die raffinierten Morde auch tatsächlich ausgeführt, »nachgespielt«? Oder verführte er seinen debilen Bruder zu den Scheußlichkeiten? Das Verhör, mit letztem Einsatz geführt, vernichtet Wirklichkeit. Denn die Handelnden, so wird mehr und mehr deutlich, werden selbst zu »Helden« der tiefschwarzen Geschichten, kommen aus ihnen, gehen in sie zurück und verlieren dabei ihre Individualität. Opfer? Täter? Die Unterscheidungen fallen, Ausgangspunkte wechseln um ins Gegenteil, moralische und politische Haltungen vermischen und verwirren sich. Katurian, der Poet, wäre tatsächlich als mordendes Scheusal denkbar, die Folterer könnten als Aufklärer mit menschlicher Gesinnung durchgehen. Martin McDonagh forscht nicht nur den verwirrenden Bezügen von Dichtung und Wahrheit nach, er zieht das Erdachte und das Reale vielmehr gleichermaßen in Zweifel. Nichts, aber auch gar nichts ist sicher. Gnadenlos präzis werden Modelle menschlichen Verhaltens durchgespielt, die als undenkbar gelten müssten und nur in der sorgsam und logisch konstruierten Welt reiner Vorstellung erörtert werden können. Ins Dunkel dieses Kunst-Raums lässt Martin McDonagh kein Licht. Und macht damit auf Gefahren aufmerksam, die alltägliche Normalität immer und überall bedrohen und aushebeln. Aber das Stück hat auch eine deutlich komische Komponente, steht in der Tradition der absurden Grotesken von Daniil Charms - im Hintergrund der detailfreudigen Grausamkeiten ist gleichsam immer ein Kichern zu hören. Die junge Regisseurin Tina Lanik macht in ihrer Inszenierung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters auf diese mephistophelische Heiterkeit sehr überlegen und staunenswert locker aufmerksam. Die szenischen Vorgänge, durch viele monologische Berichte, Vorlesungen, Bekenntnisse der Figuren nicht eben einfach in Fluss zu bringen, haben Schmiegsamkeit und Leichtigkeit. Weil sich Tina Lanik dem Geschehen mit staunender Neugier nähert, erreicht sie, auf verblüffend lässige Art, eine ganz besondere Spannung. Die Spieler geben sich in den Dialogen und Monologen der abenteuerlichen Atmosphäre einer flirrenden Unwirklichkeit genussvoll hin. Sie beherrschen die vielfachen Verstellungen und allmählichen wie plötzlichen Umstülpungen der Charaktere sicher und anstrengungslos. Im Bühnenbild von Magdalena Gut, das sich wie ein Riesenkarton auffaltet und mancherlei gescheite Überraschung anbietet, zeigt Frank Seppeler als Katurian eine zunächst stoische Gelassenheit, die dann zwischen Aufbegehren und vibrierender Angst um Person und Werk zu schwanken beginnt. Er macht dabei eine Überlegenheit deutlich, die aus dem freilich zwielichtig Schöpferischen kommt und allen Verunsicherungen seltsam unberührt widersteht. Sebastian Blomberg und Timo Dierkes, die Verhörer, bewegen sich ebenso überzeugend zwischen aufgesetzter Rollenfunktion und abgrundtiefer persönlicher Verunsicherung; Blomberg als der Intellektuelle, Kalte, Gebildete; Dierkes als der bullige, liebedienerische, naiv Grausame und kindlich Gefühlvolle. Den Bruder des Poeten, Michal, spielt Peter Ehrlich mit einer grundgütigen Naivität, die völlig unbewusste Grausamkeit erschreckend komisch verbirgt. Und diese Gratwanderung zwischen den unterschiedlichsten charakterlichen Färbungen bewältigen die Darsteller (in stichwortartigen Kurzszenen sind noch Ursula Staack, Michael Gerber und das Mädchen Vivien Bode dabei) mit meisterlicher Gelassenheit. Die Aufführung gehört zu den besten, die es seit langem in den Kammerspielen zu sehen gibt. - Übrigens wird auch im theater 89 mit »Der einsame Westen« ein Stück von Martin McDonagh ...

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