nd-aktuell.de / 25.11.2003 / Politik

Indien: Wenn die »Hijras« tanzen...

Eunuchen formieren Bewegung für Gleichberechtigung sexueller Minderheiten

Hilmar König, Delhi
Lali, 20 Jahre alt, trägt das rote Kumkum, den Punkt auf der Stirn als äußeres Kennzeichen für den Ehestand einer Hindufrau. Aber Lali ist ein Mann, gekleidet und geschminkt wie ein Frau, und verheiratet mit Bala, Ende 50, einem Regierungsangestellten im Distrikt Buxar des Unionsstaates Bihar. Eine Ehe Gleichgeschlechtlicher im stockkonservativen, nach außen hin prüden Indien, wo Homosexuelle, Lesben, Eunuchen und Transvestiten eigentlich nicht nur sozial geächtet, sondern auch per Gesetz wegen ihrer »sexuellen Orientierung gegen die Ordnung der Natur« diskriminiert werden? Ja, zumindest in einigen Gegenden Bihars und Uttar Pradeshs ist das möglich, ist es gesellschaftlich akzeptiert und gehört zur kulturellen Tradition. Lali tritt als »Launda« auf, als Tänzerin männlichen Geschlechts. Der Begriff Transvestit ist in Indien nicht populär. Hochzeiten oder Festivals sind ohne Laundas unvorstellbar. Sie bringen angeblich Glück und sorgen für gute Laune. Die hübschen Burschen im femininen Outfit stammen durchweg aus armen Familien und nennen sich selbstironisch »Bauchtänzer«, weil »wir uns mit unseren Darbietungen den Lebensunterhalt verdienen, eben das leibliche Wohl sichern«, erklärt Lali. Noch besser natürlich, wenn man einen festen Partner findet und den mit priesterlichem Segen sogar heiraten kann. Abgesehen von dieser regionalen Besonderheit haben es Gleichgeschlechtliche landesweit schwer. Sie sind Vorurteilen ausgesetzt, dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht outen, werden verunglimpft, belästigt und verfolgt. Nur die »Hijras«, die Eunuchen, behaupten sich, wenn auch unter Schwierigkeiten. Dabei hilft ihnen, dass sie bereits in den Volksepen Ramayana und Mahabharata Erwähnung finden, sich Gott Krishna beispielsweise in die schöne Mohini verwandelte, um dem Helden Aravan den letzten Wunsch vor dem Opfertod - die Eheschließung - zu ermöglichen. Aus diesen mythologischen Wurzeln leiten die Hijras ihre Daseinsberechtigung ab. Sie treten als Frauen verkleidet und herausgeputzt mit Gesang und wildem Tanz bei Hochzeiten, Geburt eines Sohnes und anderen Familienfesten auf, die des himmlischen Segens bedürfen. Und kassieren dafür mitunter kräftig ab. Kein Geheimnis ist, dass unter den Hijras Homosexualität die Norm ist. Man sieht sie allerdings nur mit schulterlangem gepflegten Haar und schwerem Schmuck behängt. Für viele von ihnen bedeutet die Tätigkeit als »Sexarbeiter« die einzige Chance, Geld zu verdienen. Die größten Gefahren drohen ihnen von gewalttätigen Kunden, der Polizei und im Gefängnis, wie aus dem Situationsbericht der Volksunion für Zivilrechte in Karnataka über »Menschenrechtsverletzungen gegen transgeschlechtliche Gemeinschaften« hervorgeht. Medien, Familien, medizinische Einrichtungen und Justiz beteiligen sich an der Diskriminierung, die auf ein Gesetz von 1871 zurückgeht, das zur »Registrierung von kriminellen Stämmen und Eunuchen« verpflichtete. Das indische Zivilrecht erkennt nur zwei Geschlechter an und bringt deshalb den Hijras etliche Nachteile. Laut dem Magazin »Frontline« haben sie »kein Recht zu wählen, zu heiraten, einen Reisepass, Führerschein oder eine Lebensmittelrationskarte zu erwerben«. Eunuchen, die an Wahlen teilgenommen haben und in Ämter gewählt worden waren, dürfen diese nicht antreten. 1994 entschied die Wahlkommission immerhin, dass Hijras in die Wahllisten aufgenommen werden können, wenn sie sich als männlich oder weiblich identifizieren. Unterdessen hat die auf zehntausende Mitglieder geschätzte Hijra-Gemeinschaft sich zu organisieren begonnen. In gewisser Weise betrachtet man sie als Initiator für die im Entstehen begriffene Bewegung sexueller Minderheiten im Kampf für Gleichberechtigung.