Linke in der Defensive

Arbeitstagung der Initiative für einen Politikwechsel in Frankfurt (Main)

  • Heiner Halberstadt
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Zu einer kritischen Sichtung des Standes der sozialen Proteste gegen Neoliberalismus und Sozialstaatsabbau traf sich die Initiative für einen Politikwechsel im Frankfurter Gewerkschaftshaus.

Einen Grund, der rot-grünen Koalition einen ausgebliebenen Politikwechsel vorzuwerfen, sieht Wolfgang Gehrcke nicht, im Gegenteil. Auf einem Treffen von rund 200 Gewerkschaftern, Sozialexperten und in Protestbewegungen Engagierten, dass sich am Wochenende in Frankfurt (Main) mit Möglichkeiten des Widerstandes gegen Sozialabbau auseinander setzte, erklärte das PDS-Vorstandsmitglied, der von Schröder und Co. vollzogene Politikwechsel habe inzwischen eine Dimension erreicht, die alle früheren Befürchtungen kritischer Politikbegleitung weit übertroffen habe. Zuvor hatte der Aachener Wirtschaftswissenschafter Karl-Georg Zinn auf die aktuell einander gegenüber stehenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Alternativen hingewiesen: Entweder der Staat werde weiterhin für eine »Laisser-faire-orientierte Wirtschaftspolitik« instrumentalisiert oder der Staat interveniere wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch zu Gunsten des Sozialstaates. Dies müsse dann, so Zinn, mit neuen, angemessen bezahlten Arbeitsplätzen und einer Reduzierung der Arbeitszeit flankiert werden. Dass die SPD in naher Zukunft zu letzterem zurückkehren könnte, dafür hatte es auf dem kürzlich zu Ende gegangenen Parteitag der Sozialdemokraten nur wenige Hinweise gegeben. Inwieweit sich diese Beschlüsse auch in Regierungshandeln niederschlagen könnten, ließ der SPD-Linke Ottmar Schreiner auf der Frankfurter Tagung offen, äußerte allerdings die Hoffnung, dass zumindest die demnächst vorliegenden Ergebnisse des Vermittlungsausschusses des Bundesrates an den Bochumer Beschlüssen gemessen werden. Im Übrigen plädierte Schreiner, auch unter Verweis auf Frankreich, für eine gesetzliche Festlegung von Mindestlöhnen. Ob sich Schreiner der sozialen Gegenbewegung zuzählt, war nicht auszumachen. Weitere Beiträge thematisierten die Frage, ob es stärker als bisher möglich ist, die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Strömungen des sozialen Widerstandes mit Blick auf ein Gesamtziel effektiver zu bündeln. Und dies nicht nur national, sondern auch europaweit. In einer lebhaften Debatte, an der sich unter anderen der nordrhein-westfälische ver.di-Landesbezirkschef Hartmut Limbeck, Franz Segbers vom Diakonischen Werk, Willy van Ooyn vom Bundesausschuss Friedensratschlag und die »Attacies« Werner Rätz und Sabine Leidig beteiligten, wurde unter anderem auf die Sozialforen in Florenz und Paris verwiesen. Im Vordergrund stand dabei immer wieder die Frage, ob und wie parlamentarische Einflussnahmen auf herrschende Politik mit außerparlamentarischem Druck kombiniert werden könne. Einigen Beifall fand nicht zuletzt der Vorschlag, zu den nächsten Wahlen mit einer eigenen Liste der sozialen Protestbewegungen anzutreten. Ein Hinweis auf die PDS als Träger inner- und außerparlamentarischer Opposition kam in der Debatte kaum vor. Hans-Jürgen Urban, im IG-Metall-Vorstand für strategische Planung zuständig, warnte indes vor zu kurzfristigen Operationsperspektiven. Die Breite und die Unterschiedlichkeit der vom Sozialabbau Betroffenen verlange nach einer langfristig angelegten Gegenstrategie. Noch sei die Linke, auch über die Bundesrepublik hinaus, »in der Defensive«. Jedoch ergebe sich aktuell durch den anstehenden Kampf der Gewerkschaften vor allem zur Verteidigung der Tarifautonomie ein Möglichkeit, den Schulterschluss zwischen den sozialen Protestbewegungen und den Gewerkschaften zu verstärken. Im Januar 2004 will die Initiative für einen Politikwechsel erneut zu einer Konferenz einladen. Dann wolle man sich konkret mit Aktionsformen des sozialen Widerstand beschäftigen, erklärte Horst Schmitthenner, Ex-IG-...

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