nd-aktuell.de / 25.11.2003 / Politik

Funkstille an der Stasi-Sensationsfront

Zwei schillernde Figuren sorgten für Schlagzeilen - die Bundesanwaltschaft schweigt sich aus

Peter Kirschey
Was macht eigentlich Jürgen G.? Gibt es etwas Neues von Grigori? Es ist still geworden um die beiden Herren, obwohl sie doch für eine kurze Zeit den bundesdeutschen Blätterwald beherrschten. Sie stiegen auf und tauchten wieder unter, so als hätte es sie nie gegeben.
Dabei handelt es sich doch bei Jürgen G. um einen handfesten Massenmörder und bei Grigori um einen Mann, der mit dem staatstragenden Verbrechen der DDR auf Du und Du stand. Sie haben also millionenfach in den Hirnen geneigter Medienkonsumenten Spuren hinterlassen. Über Grigori dürfte wohl kaum noch eine Schlagzeile mehr zu erwarten sein. Denn seine Geschichte war mit der Veröffentlichung Anfang des Jahres ausgelutscht. Der DDR-Geheimdienst habe mit Kinderpornographie einflussreiche Politiker, Richter und Industrielle in Westeuropa erpresst, wusste er damals zu berichten, und die Medien stürzten sich begierig drauf. Auch der belgische Kinderschänder Marc Dutroux habe einst im Dienste der Stasi gestanden, enthüllte Grigori. Keine Einzelheiten, keine Beweise, nur mystische Vernebelungen. Auch Polizei und Birthlers-Aktenladen wussten nichts. Das Ganze ist so geheim und deshalb nicht bekannt, weil der US-Geheimdienst CIA die Informationen deckelt. Das war es dann auch schon. Doch Medien sattelten noch eins drauf und schoben vier Kindermorde nach, die in einem Atemzug mit Stasi genannt wurden. Dass diese Verbrechen zwischen 1993 und 1997 geschahen, übersah man geflissentlich. Hauptsache, man hatte wieder einmal den kalten Atem des Monsters Stasi gespürt. Und wie ging es weiter mit Grigori? Er lebt und ist kein Medienstar mehr. Dabei ist er weiter aktiv und sendet noch immer seine gefürchteten Enthüllungsblitze in die Welt. Er weiß zum Beispiel böse Dinge über Brandenburgs Innenminister und CDU-Chef Jörg Schönbohm zu berichten, dass er es mit Minderjährigen getrieben habe. Grigori stellte Strafanzeigen gegen den Minister, schrieb Petitionen und ist ohne Erfolg bis zur Bundesanwaltschaft vorgestoßen. Da sich Grigori damit auf das Feld der Verleumdung und der unbewiesenen Behauptungen vorwagte, will ihn niemand mehr hören. Als der Meister schlimmer Geschichten einmal behauptete, dass auf dem Gebiet der DDR 80000000 Kilo Sprengstoff (!!!) nach dem Abzug der Sowjetarmee vergraben wurden, stand ein SEK-Kommando auf der Matte, und die Presse schwieg. Von den Behörden wird er als krankhafter Spinner, als Psychopath behandelt und der Fall zu den Akten gelegt. Und der CDU-Innenminister macht sich noch nicht einmal die Mühe, gerichtlich gegen den Behaupter vorzugehen. Als dieser jedoch die Stasi-Stinkbombe steigen ließ, war er in den Medien höchst willkommen. Jürgen G. hingegen dürfte im rechten Moment wieder ein Medienstar werden. Er sitzt aufgrund eines Haftbefehls des Generalbundesanwalts vom 3. September, der im Oktober präzisiert wurde, hinter Gittern. Und da sitzt er. Was er erzählt, möglicherweise wieder dementiert, darüber kein Wort aus Karlsruhe. Nicht einmal der kleinste Hinweis, ob es jemals die Spur eines Beweises für seine wilden Geschichten gegeben hat. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe schweigt mit dem Hinweis auf die laufenden Ermittlungen. Anfragen werden abgeblockt. Doch eine allgemeine Pressemeldung, die - ohne Details zu schildern - den Stand der Ermittlungen beschreibt, ist schon zu erwarten, zumal nach der ersten Meldung vor etwa zwei Monaten eine Lawine losgetreten wurde. Irgendwann wird die Story um die DDR-eigene Todesschwadron auch verfilmt werden, denn es ist ein Stoff, der alles hat, was ein mieser Thriller braucht: Ein unscheinbarer Typ aus dem Osten, gelernter Klempner, Ex-Volksarmist, Ex-SED-Mitglied, will dreizehn Jahre nach der Wende der rheinsbergischen Kulturlandschaft und der Einöde der Provinz entfliehen und zur CIA. Und wie es der Zufall will, stößt er auf einen amerikanischen Geheimagenten. Der aber ist in Wirklichkeit nicht bei der CIA sondern beim bundesdeutschen Geheimdienst. Und diesem Mann offenbart er, was er über Jahre für sich behalten hat: Dass er einem Killerkommando angehörte, das weltweit seine Blutspur hinterlassen hat. Es war nicht Stasi, auch nicht ein anderer Abwehrdienst, irgend ein geheimnisvolles Kommando in einer noch geheimnisvolleren Behörde der DDR. Niemand stellte in diesem Zusammenhang die Frage: Wenn ein Ex-Killer einen neuen Wirkungskreis sucht, dann möchte er bestimmt nicht als Gärtner bei der CIA arbeiten. Wenn also ein angeblicher CIA-Mann einen Serienmörder anwirbt, ist es eine klare Straftat - auch nach bundesdeutschem Recht. Oder heiligt der Zweck die Mittel? Was G. dem »CIA-Mann« an Beweisen für seine »Mordtaten« gebracht hat, bleibt Geheimnis. Personen werden ins Spiel gebracht, die er und seine Truppe möglicherweise, eventuell, unter gewissen Umständen vielleicht um die Ecke gebracht haben könnten: Der aus der DDR geflüchtete Fußballer Lutz Eigendorf, der mit 2,2 Promille im Blut gegen einen Baum raste, DDR-Finanzminister Siegfried Böhm, der nach einem Familiendrama erschossen aufgefunden wurde oder der Chef einer Spedition, die mit der DDR Geschäfte abwickelte. 25 Personen soll er still und ohne Spuren zu hinterlassen ins Jenseits befördert haben. Bei dem Haftbefehl vom Oktober werden nur noch zwei selbsterzählte Fälle genannt, die anderen 23 tauchen wieder in den Untergrund. Ob G. eine geltungssüchtige Plaudertasche oder ein eiskalter Killer ist, dazu will sich die Bundesanwaltschaft nicht äußern. Gestanden haben soll er jedenfalls den Mord an einem Postminister der DDR. Merkwürdig nur, es gab zu DDR-Zeiten gar keinen Postminister, der auf unnatürliche Weise aus dem Leben schied. Doch ohne einen konkreten Beweis wird Jürgen G. nicht mehr allzu lange in Untersuchungshaft bleiben können. Dann wird die Bundesanwaltschaft ihn freilassen müssen. Das ist dann wieder die Stunde der Sensations-Spekulanten. Vielleicht klappt es sogar wieder zu einem Jahrestag. Das macht sich gut.