nd-aktuell.de / 02.11.1993 / Kommentare / Seite 2

Kommentiert Ohne Rücksichten

Nicht nur Potsdam hat ein Braunkohle-Problem

Die Mahnfeuer der Lausitzer Kumpel vor dem Potsdamer Rathaus sind seit Donnerstag erloschen. Der Funke Hoffnung, daß sich die Landeshauptstadt doch für die Kohle entscheidet, glüht nur, weil sich am morgigen Mittwoch die Stadtverordnetenversammlung der Sache erneut annehmen soll. Die PDS-Fraktion will einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag stellen.

Durch das neblige Potsdamer Hick-Hack schimmert langsam die Wahrheit hindurch, daß diese Auseinandersetzung nur eine erste und nicht einmal die wichtigste ist. Plötzlich sensibilisiert, entdeckt die staunende Öffentlichkeit, daß Braunkohle aus Australien im Rostocker Hafen angelandet und in Lausitzer Baumärkten Briketts aus dem Rheinland

angeboten werden. In der Marktwirtschaft wird eben gekauft und verkauft, wo man meint (oder wenigstens glaubt), es am günstigsten zu bekommen und am meisten daran zu verdienen. Irgendwelche Rücksichten auf Regionalund Strukturpolitik sind da völlig fehl am Platze.

Die Akteure in dem angeführten Lieferdrama tragen klingende Namen: Stinnes (VEBA-Tochter), Thyssen-Handelsunion, Rheinbraun (RWE-Tochter) - um nur einige zu nennen. Insofern ist der Ärger des Brandenburger Ministerpräsidenten Stolpe über das Gebaren der „Giganten der Energie“ verständlich. Tragisch nur, daß sich all dies auf dem Rücken der Bergleute abspielt. Ihnen sind drei Jahre lang von allen Seiten Beruhigungspillen verabreicht worden, nun müssen in fast aussichtloser Lage allein die Kastanien aus dem Feuer holen.

JÖRG STAUDE