nd-aktuell.de / 02.11.1993 / Politik / Seite 5

Zum Schluß die Überraschung?

Vier Kandidaten bewerben 'sich mittlerweile um das Amt des Bundespräsidenten: Heitmann (CDU), Rau (SPD), Hamm-Brücher (FDP) und Reich (parteilos). Wer schließlich am 23. Mai 1994 das Rennen für sich entscheidet, wird nicht zuletzt vom Wahlverfahren abhängen. Und das läßt mehrere Varianten offen. „Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt“, heißt es lapidar in Artikel 54 des Grundgesetzes. Wahlgremium ist die sogenannte Bundesversammlung. Sie setzt sich aus 1324 Mitgliedern zusammen: den 662 Bundestagsabgeordneten sowie einer ebenso gro-ßen Zahl von Vertretern der Bundesländer. Wie viele Personen jedes Land entsenden kann, bemißt sich nach seiner Bevölkerungszahl. Wie viele Vertreter jede Landtagsfrak-

tion zur Präsidentenwahl schicken kann, hängt von ihrer Größe ab. Es gibt drei Wahlgänge. In den ersten zwei Wahlgängen wird der neue Bundespräsident mit absoluter Mehrheit gewählt. Er braucht also mindestens 663 Stimmen. Anders dagegen im dritten Wahlgang. Hier reicht bereits die relative Mehrheit aus..

Unwägbar ist die weitere Entwicklung vor allem auch deshalb, weil die Wahl geheim sein wird. Eine weitere Unbekannte sind die niedersächsischen Landtagswahlen im nächsten Jahr. Sie könnten die Zusammensetzung der Bundesversammlung noch geringfügig verändern. Nach derzeitigem Stand werden CDU/CSU 619 Wahlfrauen und -männer stellen, die SPD 500 und die FDP 114. Es folgen Bündnis 90/Grüne mit 40

und die PDS mit 33 Vertretern. Die übrigen 18 Delegierten gehören zum Großteil den Republikanern und der DVU an. CDU/CSU und FDP würden bei einem gemeinsamen Kandidaten die absolute Mehrheit bei weitem übertreffen. Theoretisch denkbar wäre aber auch ein Zweckbündnis von SPD, FDP, Bündnis 90/Grüne und PDS zugunsten der Kandidaten Rau, Reich oder Hamm-Brücher. Diese vier Parteien würden zusammen auf 687 Stimmen und damit ebenfalls auf die absolute Mehrheit kommen.

Nicht auszuschließen ist, daß am Ende keiner der vier genannten Kandidaten gewählt wird. Nach dem ersten Wahlgang können nämlich Mitglieder der Bundesversammlung spontan neue Kandidaten ins Rennen schicken.

ADN/ND