nd-aktuell.de / 02.11.1993 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 8

Geschenkter Wohlstand

Hans Rehfeld

Der den Ossis „geschenkte Wohlstand“, so jüngst Wirtschaftsminister Rexrodt, müsse jetzt möglichst rasch durch originär ostdeutsche Einkommen - Einkünfte der ostdeutschen Unternehmen im internationalen und interregionalen Absatz - ersetzt werden.

Schluß mit den Geschenken. Rexrodt schreibt die Rechnung. Die allerdings werden viele Beschenkte nicht bezahlen können. Denn viele Bewohner der neuen Bundesländer sind lange schon vom geschenkten Wohlstand ausgeschlossen: Arbeitslose, die auch fürderhin auf dem Arbeitsmarkt chancenlos bleiben werden, ABM-Kräfte, die ihre plattgemachten Betriebe eigenhändig abreißen dürfen, wenig betuchte Mieter, die jetzt das Acht- bis Neunfache zahlen, Bauern, die ihre Flächen stillegen müssen.

Die Behauptung vom „geschenkten Wohlstand“ ist ebenso unverschämt wie der Konische kollektive Freizeitpark. Doch stimmt, daß der Beitritt einigen auch unerwarteten Wohlstand schenkte - die Banken erlebten seitdem Einnahmen wie noch nie.

Jetzt, da die Reste des Volksvermögens der DDR-Bürger im Schlußverkauf verhökert werden, sucht Bonn neue Quellen der „Abschöpfung“ Natürlich nicht bei den Einigungsgewinnlem, sondern bei den Nor-

malverbrauchern, die sich im deutschen Freizeitpark tummeln, bei den maßlosen Arbeitnehmern, die sich darauf berufen, daß die von ihnen hart erkämpften Tarifverträge, rechtsstaatlich, also vertragsgerecht, eingehalten werden.

Die Regierungskoalition langt jetzt bei der Demontage des Sozialstaates noch ungenierter zu. Bei Rexrodt liest sich das so: Es gehe „insbesondere um eine Rückführung der Staatstätigkeit (aus der Wirtschaft), um den Abbau unnötiger Regulierungen, um die Begrenzung der Lohnnebenkosten durch Umbau der sozialen Sicherungssysteme“.

Dieser Umbau, der - um ein jüngstes Beispiel zu nennen - den Bauarbeitern ihre tariflich gesicherte Schlechtwetterregelung nehmen soll, kommt einer bedeutenden sozialen Einschränkung im Winterhalbjahr gleich. Die Bauleute antworteten am letzten Wochenende auf ihre Art: Das stille Bonn erhielt unerwünschten Besuch von 120 000 protestierenden Baukollegen aus ganz Deutschland. Mit dieser Courage machten sie allen Freizeitparklern tatsächlich ein wertvolles Geschenk: Sie erinnerten an die alte Erfahrung - Einigkeit macht stark! Und die ist bitter nötig, wenn die soziale Demontage gestoppt werden soll.

HANS REHFELDT