nd-aktuell.de / 02.11.1993 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter

In den USA wäre nach den Hoechst-Unfällen keine Aktionärsversammlung vorstell- : bar, die den Unternehmensyorstand mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Meint jedenfalls der Umweltberater Daniel Hoffmann vom deutschen Tochterunternehmen der Firma Radian Inc., Austin (Texas), bei einem Vortrag im Rahmen der deutsch-amerikanischen Umwelttage, die vergangene Woche in München, Frankfurt (Main) und Berlin stattfanden.

Hoffmann, der über das Umweltmanagement in US-Unternehmen referierte, sieht zwischen der Umweltpolitik in Deutschland und in den USA vor allem zwei gravierende Unterschiede. Während man in Deutschland vor allem auf gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte, staatlich kontrollierte Anlagengenehmigungen und Umweltbehörden

setze, würden in den USA sieben der - weit geringeren Zahl von gesetzlichen - Vorschriften vor allem die einklagbare Haftung für Umweltschäden sowie die kritische Öffentlichkeit ansprechen.

Beide Gesichtspunkte seien in der Bundesrepublik weniger ausgeprägt, da ein Haftungsrecht für den Umweltbereich erst seit 1991 bestehe und das in den USA nach dem Watergate-Skandal gesetzlich fixierte Recht des Bürgers, behördlich gesammelte Daten zu erfahren, ebenfalls fehle. Auch das Umweltinformationsgesetz, dessen Entwurf vor zwei Wochen im Bundeskabinett beschlossen wurde, geht nicht in jedem Punkt so weit wie der amerikanische „Freedom of Information Act“ von 1975.

Während das US-Gesetz nur den Zugang zu Informationen beschränkt, die die

„nationale Sicherheit“ betreffen, ist den deutschen Behörden auch bei allen anderen Fragen freigestellt, wie sie den Bürger informieren.

Auf die reale Wirkung des Haftungsrechts in den USA angesprochen, nannte Hoffmann als besonders spektakulären Fall den Prozeß gegen den Chemiekonzern Union Carbide, bei dem wegen der Katastrophe im indischen Zweigwerk Bhopal auch Mitglieder des Konzernvorstands haftbar gemacht wurden. Auch der Fall des Öltankers Exxon Valdez, der vor Alaska gestrandet war, sei trotz der relativ geringen Schadenersatzsumme hier einzuordnen. Denn seither versichere keine US-Versicherung mehr Tanker ohne doppelte Schiffswände.

Daß derartige vorwiegend juristisch-ökonomische Hebel

nur begrenzt wirken, ist an einigen Zahlen zu erkennen, die der Umweltberater nannte. So sei die Realisierung des Resource Conservation and Recovery Act (über den Schutz und die Wiederherstellung der Naturressourcen) mit geschätzten Kosten in Höhe von 150 Milliarden Dollar verbun-' den, wovon allein 60 Milliarden auf die Chemie entfallen. Angesichts nicht weniger Altlastenflächen, vor allem des Erzbergbaus, die nahe längst verlassener Geisterstädte liegen, darf allerdings mit einer nennenswerten Dunkelziffer gerechnet werden. Denn in solch menschenleeren Gegenden wird niemand gegen die Verursacher strahlender Halden und giftigen Staubs klagen. Und wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

1992 wurde eine Neufassung des Luftreinhaltungsge-

setzes ^fertiggestellt, die. weit, über das bisher 1 , auch beim Ökö-'-Musterschüler < “Deutschland Existierende hinausgeht. Rund 130 organische Stoffe, die als krebserregend gelten, aber bislang nicht in Abgasen gemessen wurden, sollen künftig nicht mehr aus Schornsteinen oder Auspuffrohren entweichen. Die damit verbundenen Kosten sind bislang jenseits jeder Schätzung.

Zu den weiteren Themen der deutsch-amerikanischen Umwelttage zählten Vorträge zum Gegensatz von Natur und Kultur, die speziellen Probleme der Naturnutzung durch die amerikanische Urbevölkerung, die Verantwortung des Nordens für die globalen Umweltprobleme sowie die Chancen und Probleme des Naturschutzes im Osten Deutschlands.

Dr. STEFFEN SCHMIDT