Krieg gegen den eigenen Körper

  • Barbara Schleicher
  • Lesedauer: 4 Min.
Haben Sie sich schon darüber gewundert, dass Ihnen Kleider Ihrer Größe immer seltener passen, obwohl Sie nicht zugenommen haben? Finden Sie es merkwürdig, dass die Models immer dünner werden, während Männer von weiblichen Kurven träumen? Haben Sie sich mal gefragt, warum Frauen immer lächeln und Männer sich in der U-Bahn so breit machen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftig sich Gitta Mühlen Achs in ihrem Buch »Wer führt?«. Alltägliche Beobachtungen und aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die alte Geschlechterordnung keineswegs passè ist - sich vielmehr im neuen »Designer-Gewand« präsentiert. Seit Jahrtausenden zeigt sich das Männlichkeitsideal unverändert. Hochgewachsene, kraftvolle und muskulöse Männer tummelten sich bereits in Heldensagen und auf den Schlachtfeldern der Geschichte. Heute sind es die Muskelpakete von »Superman« und »Terminator«, die als Vorbild dienen. Dass nur wenige Männer mit den trainierten Bodies eines David Hasselhoff, Bruce Willis, George Clooney oder Arnold Schwarzenegger konkurrieren können, schmälert keineswegs ihre Erfolgsaussichten. Selbst einem Durchschnittsmann mit Bauchansatz, Stirnfalten, Tränensäcken und Glatze schlägt »eine bemerkenswerte große Toleranz - insbesondere seitens der Frauen entgegen«, hält die studierte Psychologin fest. Im Vergleich zum männlichen hat sich das weibliche Körperideal in der Menschheitsgeschichte stark verändert, was mit den jeweiligen gesellschaftlichen Anforderungen an die Frauen korrespondiert. Schönheitsideale wie die »Venus von Willendorf« oder die Frauengestalten flämischer Maler hat »man« längst ins Museum befördert. Das 21. Jahrhundert setzt neue Maßstäbe, die sich nicht an den »Parametern Vitalität, Kraft und sexuelle Potenz orientieren« schreibt Mühlen Achs, »denn diese sind mittlerweile männlich besetzt.« Schmalhüftige, knabenhafte, unterernährte Topmodels verkörpern den neuen Frauentyp. Doch im Vergleich zu den dünnen und zerbrechlichen Stars zeigen aktuelle Messwerte, dass die Frauen seit 1970 um durchschnittlich 3 Zentimeter gewachsen sind, was sich direkt auf den Umfang von Taille, Hüfte und Brust auswirkt. »Persönliche Unsicherheit sowie das problematische Verhältnis zum eigenen Körper fördern die Bereitschaft von Frauen, ihre Körper im Sinn des gesellschaftlich vorgegebenen Ideals zu manipulieren.« Mit Diäten, Schlankheits- und Abführpillen gehen zunehmend auch Mädchen gegen angebliche körperliche Unzulänglichkeiten vor. Beinahe 90Prozent der weiblichen Teenager empfinden sich als »zu dick« , 73Prozent stufen ihr Idealgewicht weit unterhalb des gesunden Body-Maß-Index von 20 bis 25 ein. Bereits jedes 4. Mädchen der Altersgruppe zwischen 7 und 10 Jahren hat bereits Diäterfahrungen gemacht. So überrascht es nicht, dass das Wetteifern mit den Superdünnen immer häufiger in Essstörung mündet. In Deutschland gehen offizielle Schätzungen von 5 Millionen Magersüchtigen aus. Doch die »epidemische Verbreitung des Diätwahns stellt keineswegs den Höhepunkt im Krieg der Frauen gegen den eigenen Körper dar«, konstatiert die Autorin. Immer mehr Frauen legen sich für einen maßgeschneiderten Körper auf den Operationstisch. Facelifting, Brustvergrößerungen und Fettabsaugungen nehmen unter den sechzehn- bis dreißigjährigen Frauen eine Besorgnis erregende Häufigkeit an. Hingegen sinkt bei den über 45-Jährigen die Bereitschaft, gegen erste Alterszeichen operativ vorzugehen. Allein in den USA, dem Geburtsland der Schönheitschirurgie, werden jährlich 7 Millionen Eingriffe durchgeführt. Vielfach haben die Frauen pathologische Wahrnehmungsstörungen, indem sie ihren Körper nur noch als makelbehaftet oder falsch wahrnehmen. Für Gitta Mühlen Achs ist das »Phänomen der Entmachtung und Zurichtung von Frauen im Sinne patriarchaler Erwartungen weltweit zu beobachten.« Manche Vorgehensweisen werden seit vielen Jahrhunderten weitgehend ungehindert praktiziert wie die Genitalverstümmelung, die Rippenbogenentfernung u.a. Neueren Ursprungs sind Schönheitskorrekturen der Brüste oder Pearcing im Genitalbereich. All das zeige, »dass man in dem Bemühen, sich den weiblichen Körper und seine sexuellen Funktionen zu unterwerfen, auch vor lebensgefährlichen Eingriffen und grässlichsten Verstümmelungen nicht zurückschreckt.« Aus eigener Erfahrung als Trainerin an der Ludwig-Maximilian-Universität München bilanziert Gitta Mühlen Achs: »Je mehr wir in unserer Selbstdarstellung und Kommunikation auf die alten Muster zurückgreifen, um so größer ist unser individueller Beitrag zur Aufrechterhaltung der alten Ordnung. Je weniger wir dies tun, umso größer ist unsere individuelle Freiheit.« Gitta Mühlen Achs: Wer führt? Körpersprache und die Ordnung der Geschlechter, Verlag Frauenoffensive München, 235 S., Pb, 20,50 Euro
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal