nd-aktuell.de / 02.12.2003 / Gesund leben

Ein Hörsturz ist immer ein Notfall

In Deutschland erleiden jedes Jahr rund 30000 Menschen einen Hörsturz. Tendenz steigend. Professor Thomas Lenarz, Leiter der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) erklärt im Interview mit GESUND LEBEN, wie man einen Hörsturz erkennt und was man dagegen tun kann.
ND: Jeder hat schon mal vom Hörverlust gehört, was genau aber ist ein Hörsturz und woher kommt er?
Lenarz: Sicher ist, dass es sich bei einem Hörsturz um eine Durchblutungsstörung des Innenohres handelt. Das Innenohr ist quasi das Mikrofon des Menschen, Mittel- und Außenohr dienen nur zur Verstärkung des Schalls. Dieses Mikrofon wandelt die Schallwellen in Nervenreize um. Dafür sind die Hörsinneszellen verantwortlich. Ist die Durchblutung dieser winzigen und sehr empfindlichen Zellen gestört, kommt es zu einer Minderversorgung mit Sauerstoff. Woher der Hörsturz kommt, ist nicht geklärt. Stress kann zu Gefäßkrämpfen führen, in diesem Fall der feinen Adern im Innenohr. Die individuelle Anfälligkeit dafür kann höchst unterschiedlich sein.

Woran kann ich einen Hörsturz selbst erkennen?
Häufig wird davon berichtet, dass die Geräuschwahrnehmung dumpf wird, als wenn sich ein Vorhang vor die Ohren zieht oder Watte ins Ohr gestopft wurde. Nicht immer muss es sich dabei um eine vollständige Taubheit handeln. Wenn dieses Gefühl länger als wenige Sekunden anhält, haben wir es vermutlich mit einem Hörsturz zu tun. Oft geht der Hörsturz mit Schwindelgefühl und Tinnitus (Ohrgeräuschen) einher.

Was ist bei einem Hörsturz zu tun?
Schnelligkeit ist wichtig. Der Behandlungsbeginn nach einem Hörsturz kann darüber entscheiden, wie gut das Gehör behandelt werden kann. Die Chancen sind nicht schlecht. 70Prozent der Betroffenen können wieder vollständig geheilt werden. Je länger man mit der Therapie wartet, umso eher wird der Hörsturz zum Dauerschaden. Also bitte nicht aus Unsicherheit oder Scham mit dem Weg ins Krankenhaus warten. Zehn Prozent aller Patienten bleiben dauerhaft taub.

Wie helfen Sie im akuten Fall?
Als Standardbehandlung gelten Infusionen mit so genannten Blutexpandern. Sie setzen die Zähigkeit des Blutes herab, es wird also »dünner«. Gleichzeitig werden die Gefäße medikamentös erweitert. So soll das Blut besser durch die geschädigten oder verkrampften Blutgefäße im Innenohr fließen können. Miniblutgerinnsel werden aufgelöst. Wenn die Behandlung mit den Infusionen aber nach einer Woche keine Wirkung zeigt, haben wir noch die Möglichkeit, den Patienten in einer Druckkammer hochdosierten Sauerstoff ins Blut zu pressen. Das ist wie bei den Tauchern. Diese Hyperbare-Sauerstoff-Therapie (HOT) wird aber bisher nur auf Anfrage von den Kassen finanziert.

Was ist mit der neuen »HELP«-Therapie?
Die »Heparin-induzierte extrakorporale LDL-Präzipitation« (HELP) ist quasi eine Blutwäsche analog zu der Dialyse für Nierengeschädigte. Dieses neue Verfahren, auch Hämapherese genannt, wird probiert, wenn die Blutzähigkeit abnorm gesteigert ist. Das kann zuvor im Labor getestet werden, der Test dauert aber einige Stunden. Man kann dann davon ausgehen, dass nicht krampfende Gefäße das Problem sind. Außerhalb des Körpers wird das Blut dann gefiltert und die die Zähigkeit verursachenden Eiweißkörper und LDL-Cholesterine entzogen. Das Ganze dauert zwei Tage

Das ist deutlich schneller. Warum ist die Therapie nicht Standard?
Das ist in erster Linie eine Kostenfrage. Die Kasse übernimmt grundsätzlich nicht die Kosten. Für beide Behandlungstage berechnen wir rund 3000 Euro. Die einwöchige Infusionstherapie schlägt mit täglich 400 Euro zu Buche, wird aber von der Kasse übernommen.

Interview: Volker Macke