Großes Potenzial, geringe Kräfte

Kongress Freier Radios debattiert über die Zukunft der Gegenöffentlichkeit

Ein Journalist, der unautorisierte Interviews verwendet, bekommt in der Regel Probleme. Aber gleich eine Polizeirazzia? So geschehen am vergangenen Dienstag im Hamburger Stadtteil Schanzenviertel. Dreißig Polizisten verschafften sich unsanft Zugang zu den Räumen von Hamburgs Freien Radio »fsk« (»Freiwillige Selbstkontrolle«) und durchsuchte zeitgleich die Wohnung des verantwortlichen Redakteurs. Der Grund für den ungewöhnlichen Besuch war ein Interview, das ein fsk-Redakteur mit einem Sprecher der Hamburger Polizei im letzten Herbst führte. Damals waren während einer Demonstration zum Erhalt der Wagenburg Bambule zwei Menschen festgenommen worden. Das Gespräch wurde mitgeschnitten und einige Tage später unkommentiert ausgestrahlt. Doch der Polizeisprecher stellte Anzeige gegen Unbekannt. Das Gespräch sei nicht autorisiert gewesen. Das Ereignis führte beim Kongress des Bundesverband Freier Radios am Wochenende in Berlin zu einem neuen Wir-Gefühl bei den ca. 40 Teilnehmern, die 12 Freie Radios vertraten. »Das kann uns allen passieren, wenn wir unserem Anspruch nach Gegenöffentlichkeit gerecht werden«, lautete eine breit unterstützte Einschätzung. Tatsächlich hat das »fsk« in Hamburg in den letzten Monaten mit Live-Berichten über Aktionen gegen den rechten Schwarz-Schill-Senat genau die Rolle gespielt, die den Aktivisten der Freie-Radio-Bewegung seit mehr als 20 Jahren vorschwebt: »Sprachrohr der Bewegungen«. Das erste Freie Radio »Dreyecksland« hat seine Wurzeln im Widerstand gegen das AKW Wyhl bei Freiburg. Doch das Abflauen der sozialen Bewegungen ging auch an den Freie-Radios-Aktivisten nicht spurlos vorüber: Auf dem Kongress am Wochenende wurde immer wieder festgestellt, dass es schlicht an Aktivisten fehlt. Öffentlicher Druck für Neugründungen - etwa in der Hauptstadt Berlin - lässt sich so kaum noch herstellen. Am Freitagnachmittag sollten sich Berliner Politiker verschiedener Parteien zu einem freien Radio positionieren. Doch die Entscheider kamen einfach nicht. Fehlender Druck kann auch durch Lobbyarbeit nicht ersetzt werden. Das machte Markus Beckedahl bei seinem Vortrag über den Weltinformationsgipfel (WSIS) Mitte Dezember in Genf deutlich. Als Teil der NGO-Gemeinde will er dort den Gipfelvertretern Zugeständnisse abringen - das gehe aber nur, wenn zuvor lauter grundsätzlicher Widerspruch zu vernehmen sei. Während die Bewegungsflaute den Radios zu schaffen macht, haben sich die technischen Möglichkeiten gesteigert. So wurde das Projekt »reboot.fm« vorgestellt, das das Verhältnis vom Sender und Empfänger auf den Kopf stellt. Der Hörer könnte dann i...

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