Macht nicht unsere Fehler. Macht neue!

Offene Kanäle, Freies Radio, Indymedia - 30 Jahre Alternativmedien. Gespräch mit einem Pionier

  • Lesedauer: 5 Min.
ND: Richard Herding, Sie haben vor 30 Jahren angefangen, in der BRD den »Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten« (ID) herauszugeben...
Herding: Es sollte eine Art Presseagentur zur Verbreitung von Nachrichten sein, die damals weder in der »normalen« noch in der K-Gruppen-Presse gebracht wurden, weil hinter ihnen keine »zitierfähigen« Sprecher standen. Es waren damals bereits in größeren Orten alternative Stadtmagazine entstanden, die es zum Teil heute noch als »seriöse« Blätter gibt. Die wollten wir mit Informationen aus den »Neuen Sozialen Bewegungen« versorgen - Frauenbewegung, Hausbesetzung, Knast. Zuerst war das ein Selbstläufer. In allen guten Buchläden wurde der »ID« vertrieben, aktive Wohngemeinschaften hatten ihn abonniert. Maximum waren rund 9000 Auflage. Zur Zeit des Russel-Tribunals gegen die Berufsverbote war er ein verbindendes Medium der linken Bewegungen.

Was hatte der Name zu bedeuten?
Manche wollten eine »Sozialistische Presseagentur«, andere sprachen von »unterdrückten Nachrichten«. Ich finde den Namen, der sich dann durchsetzte, noch immer den besten. In Systemen wie der damaligen BRD war es ja eher der Arbeitsalltag oder die journalistische Etikette, und weniger eine polizeilich sanktionierte Ideologie, die Nachrichten »unterdrückte«.

Wie hat der ID gearbeitet?
Nach einer Art Briefkastenprinzip. Die verschiedenen Aktivsten- und Aktivistinnengruppen haben ihre Meldungen geschickt, ihre - wie man heute sagen würde - Presseerklärungen. »Wir sind aus dem und dem Grund in einen wilden Streik getreten«. 1973 war ja ein bewegtes Jahr in der Bundesrepublik. Aber auch einzelne konnten sich über uns »laut machen«, Leute, die im Knast saßen und sagten, unsere Zelle ist überbelegt. Das heißt, man musste nicht eine Organisation sein, um zu Wort zu kommen.

Das ist ja bis heute Ihre Mission: Die Botschaft derer, die keine Stimme haben.
Genau. Wir - der Rest vom ID firmiert heute als »Informationsdienst für kritische Medienpraxis« im Berliner Haus der Demokratie - haben kürzlich eine Broschüre »Zu Wort kommen« veröffentlicht. Nach wie vor kommen Menschen ohne Pressestellen schlecht in die Öffentlichkeit. Das trifft zum Beispiel für viele Einwanderer zu. Die Türken sind noch einigermaßen gut organisiert. Viele Osteuropäer treten dagegen weiterhin in den Medien nur als Mafiosi auf. Die derzeitige Pressekrise tut ein Übriges - da wagt man sich nicht so schnell an abseitige Themen.

Wie hat sich die politische Öffentlichkeit seither verändert - und welchen Anteil hat diese Alternativpresse daran?
Zu Anfang der siebziger Jahre war die etablierte Presse extrem abgeschottet. Hausbesetzer? Kriminell! Atomkraftgegner? Mittelalter-Spinner! Ich erinnere mich daran, dass z.B. die »Frankfurter Rundschau« zeitweise keinen Kontakt mit dem »ID« wollte, weil der Regisseur Volker Schlöndorff - den wir aus Gründen der Seriosität in den Beirat aufgenommen hatten - Ärger hatte wegen angeblicher RAF-Sympathien. Die Alternativpresse hat dann aber aus den Protestbewegungen heraus die ersten großen Schritte gemacht. Mit der Zeit haben wir uns durchgesetzt. Die »taz« - die aus dem ID-Umfeld entstanden ist, aber auch dessen Ende mit sich gebracht hat - , ist heute ja keineswegs allein mit z.B. Anti-AKW-Positionen. Heute sind die Etablierten viel offener für Neues - die kritische Globalisierungsbewegung ist ein Beispiel dafür...

... Sie fühlen sich also wie ein Sieger?
...andererseits ist es häufig nur eine Scheindurchsetzung, weil Berichte zwar erscheinen, aber sozusagen im allgemeinen Gelaber untergehen. Und die Dominanz derer mit Pressesprechern ist vielleicht noch stärker geworden. 90 Prozent der »Alternativen« bevölkern heute die großen Medien. Sie werden oft wegen ihrer Gehälter beschimpft - andersherum wollen sie mit dem »Kram« nichts mehr zu tun haben. Beides ist verfehlt.

Wie war das Verhältnis zur »taz«?
Personell war die Verbindung eher gering, es sind vielleicht zwei von etwa 15 ID-Aktiven bei der »taz« gelandet. Viele ID-Leute haben die »taz« auch immer hart kritisiert: Es gebe wieder so eine dominante Redaktion, die eingreift und zensiert. Das hat sich auch einigermaßen bestätigt, aber trotzdem gab es zeitweise einen direkten Zugang für »Stimmlose« zur Öffentlichkeit über die »taz«. Die hatte zum Beispiel über mehrere Jahre hinweg eine Seite von und für Knastinsassen.

Inwieweit können »offene Kanäle« und Ähnliches für einen gerechteren Zugang zur Medienöffentlichkeit sorgen?
Aus meiner Sicht sind die oft eine Scheinform, wo die Leute zum Teil richtig verarscht werden. Die kommen dann »zu Wort«, aber jeder sieht gleich die unbeholfene Sprache und Gestik. Der Öffentlichkeitseffekt ist dabei manchmal sogar negativ. Wir haben das nie so machen wollen, wir wollten hoch qualifizierte redaktionelle Unterstützung. Freies Radio ist noch das Beste, was in dieser Richtung existiert - mit großen Lücken. Man denke an Berlin, wo es das noch nicht gibt.

Wie schätzen Sie die heutige Szene ein, z.B. das Internet-Forum »Indymedia«?
Wir diskutieren mit den »Indymedia«-Machern und sagen immer: Macht nicht unsere Fehler, macht neue! Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen dem Bewegungsmedium und dem Dauermedium. Beim ersten kannst du immer sagen, kommt alle, setzt eure Texte rein, was war los in Paris beim Sozialforum. Wenn du dann aber sechs Wochen »Ruhe« hast, ist gefragt, nicht jede Pippifax-Aktion reinzunehmen, sondern sich Zeit für Recherchen zu nehmen. Und dafür braucht man einen stärkeren Einfluss der Redaktion. Was ich an Projekten wie »Indymedia« genial finde, ist natürlich die früher unvorstellbare Schnelligkeit des Mediums Internet, ist zweitens seine Internationalität. »Indymedia« geht auch mit der Themenauswahl sehr gut um: Es gibt »Zensurtransparenz«, ein einsehbares Statut, das antisemitische, rassistische, antifeministische Sachen ausschließt. Zensiertes Material kommt aber in einem Müllcontainer, der einsehbar bleibt - eine fast schon optimale Lösung.

Interview: Velten Schäfer
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