Putzfrauen gegen Mainstream

Vom Filmfestival Mannheim-Heidelberg

  • Heinz Kersten
  • Lesedauer: 4 Min.
Mannheim zählt zu den ältesten deutschen Filmfestivals, und eine seiner vielen Besonderheiten ist, dass es gleichzeitig auch in Heidelberg stattfindet. Vor zehn Jahren rettete die Nachbarstadt den traditionsreichen Cineastentreff vor der Abwicklung aus Finanznöten. So konnte jetzt der 52. Jahrgang am Neckar mit einem Film über die Donau eröffnet werden. Gedreht hat ihn der seit langem in Wien lebende serbische Regisseur Goran Rebic. Der mehrsprachige Titel »Donau, Dunav, Dunarea« verrät schon die Reiseroute dieses Fluss-Movies. Mit Otto Sander als Kapitän und einer Hand voll Passagiere unterschiedlicher Schicksale durchquert ein bereits etwas altersschwacher Kahn von Österreich bis Rumänien alle zum Teil noch Kriegsspuren tragenden Länder, die an den Ufern von Europas längstem Fluss liegen. Zum Festival-Ende belohnte der Publikumspreis das auch metaphorisch gemeinte Spiegelbild einer krisengeschüttelten armen Region. 23 Filme aus 21 Ländern stellten sich im Wettbewerb dem Anspruch des Festivals, unabhängigen Produktionen vor allem junger Regisseure, die eine individuelle künstlerische Autorenhandschrift erkennen lassen, ein Forum zu bieten. 14 weitere Filme in der Sektion Internationale Entdeckungen trugen ebenso bei, den cinematografischen Horizont der über 60000 Besucher zu erweitern. Dem breiten geographischen Spektrum des Angebots entsprachen die Juryentscheidungen. Der Hauptpreis ging nach Südkorea und honorierte das beeindruckende lange Spielfilmdebüt von Eo Il-seen »Plastic Tree«. Ein erotisches Psychodrama. Ein Macho-Typ bricht in die Beziehung eines jungen Paares ein, die unter Impotenz des Mannes leidet. Das tragische Ende ist vorprogrammiert. Bei der besonders starken skandinavischen Präsenz konnte es nicht überraschen, dass ein schwedischer Film den Spezialpreis erhielt. »Miffo« von Daniel Lind Lagerlöf erwies sich als publikumswirksame Komödie um einen jungen Pfarrer, der sich in eine sozial deklassierte Rollstuhlfahrerin mit unwiderstehlicher erotischer Ausstrahlung und Lebenslust verliebt und ihretwegen seine Hochzeitsfeier mit einer anderen platzen lässt. Ein deutscher Kinostart ist für den Sommer kommenden Jahres geplant. Da formal Eigenwilliges sonst rar war, bot sich für den Rainer-Werner-Fassbinder-Preis, der einen Film mit innovativer Erzählstruktur auszeichnet, ein auch von den Zuschauern geliebter Beitrag aus Chile an: »Sábado« von Matias Bize. Auch da findet eine geplante Hochzeit nicht statt. Diesmal von der Braut abgeblasen, als sie erfährt, dass ihr Auserwählter die Nacht zuvor mit einer anderen verbracht hat. Das Besondere des Films dass er ohne Schnitte durchgehend auf Video gedreht ist und den erst 24-jährigen Regisseur nur ganze 30 000 chilenische Pesos gekostet hat, was 40 Euro entspricht. Deutschland war im Wettbewerb nicht vertreten. Dafür gab es zum ersten Mal so etwas wie eine deutsche Reihe: sechs noch kaum bekannte Produktionen unter dem Motto »Frischer Wind«, darunter eine Überraschung, die mehr war als ein lokales Ereignis. »Wenn der Richtige kommt«, von jungen Enthusiasten in Mannheim gedreht, erzählt die Geschichte von Paula, der putzmunteren naiv-sympathischen Putzfrau, die sich in den Türken Mustafa verliebt, ihm nachreist und in seiner Heimat erkennen muss, dass er doch nicht der Richtige war. Die Regisseure Stefan Hillebrand und Oliver Paulus ließen sich auf das Abenteuer ein, ganz ohne Förderung und Fernsehbeteiligung komplett improvisiert eine Geschichte zu drehen, die von vornherein noch nicht einmal feststand. Das Wagnis hat sich gelohnt., nicht zuletzt dank des von Erfahrungen im Ensemble eines Improvisationstheaters profitierenden erfrischenden Spiels von Isolde Fischer in der Rolle der Paula. Eine andere resolute Putzfrau lernte man in dem finnischen Film »Eila« von Jarmo Lampela kennen. Anfangs als Streikbrecherin von den Kolleginnen geächtet, organisiert sie schließlich gemeinsam mit ihnen zum Widerstand gegen ihre Entlassung eine erfolgreiche Klage gegen die Regierung. Ein vergnügliches Lehrstück über gewerkschaftliche Solidarität, das an die »Berliner Arbeiterfilme« der späten 60er Jahre erinnert. Ganz anders erzählt Tamás Tóth in »Rinaldo« von einem Aufstand kleiner Leute gegen Praktiken des gewöhnlichen Kapitalismus im postsozialistischen Ungarn. Arbeitslose Stahlarbeiter begegnen sich wieder: die einen nun im Sold der Mafia, die anderen aufseiten der Hausbewohner, die von den ins Verbrechen abgerutschten ehemaligen Kollegen im Spekulanteninteresse vertrieben werden sollen. Tóth spielt mit Zitaten von Akira Kurosawa (»Sieben Samurai«) und John Sturges (»Die glorreichen Sieben«) und ist den stilistischen Überhöhungen seines in der Sowjetunion 1993 gedreht Erstlings »Kinder des Eisengottes« treugeblieben. Sozialkritisches auch aus Griechenland: In »O Vasilias« (Der Fremde) von Nikos Grammatikos zieht sich ein entlassener Häftling, um seinen einstigen Kumpanen zu entgehen, in ein abgelegenes Dorf zurück und wird dort als Außenseiter vom Hass der »normalen« korrupten Gesellschaft zur Strecke gebracht. Ein negatives Gegenstück über einen von Reue geplagten vorzeitig begnadigten Mörder lieferte als einziger US-Beitrag das konstruierte Erbauungstraktat »Levity«, Regiedebüt von Drehbuchautor (»Men in Black«, »Drei Engel für Charlie«) Ed Solomon. Da kam Hollywood durch die Hintertür doch noch in ein Festival, das sich sonst gerade vom Mainstream abgrenzen will. Hierzu leistet es schon seit Jahren auch filmische Entwicklungshilfe. Direktor Michael Koetz bringt Filmemacher und Produzenten zusammen, die diesmal über 68 Projekte aus 27 Ländern berieten. 40 fertige Filme sind in den vergangenen sechs Jahren aus diesen Coproduction-Meetings hervorgegangen. In Sales & Distribution-Meetings trafen außerdem fast 60 europäische Filmhändler mit Verleihern zusammen. Mannheim-Filme sind es wert, nicht nur in Mannheim und Heidelberg gesehen zu werden.
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