Tracinda gegen die erste Welt AG

Großaktionär will wegen Übernahme des US-Autobauers Schadenersatz

Einer der spektakulärsten Wirtschaftsprozesse der letzten Jahre hat gestern im US-Bundesstaat Delaware begonnen. Der ehemalige Chrysler-Großaktionär Kirk Kerkorian will vom Daimler-Konzern Schadenersatz in Milliardenhöhe.

Kirk Kerkorian gilt als Zocker, der immer, wenn es um große Einsätze geht, gewinnt. Mit dem An- und Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und Immobilien hat der Sohn einer verarmten armenischen Einwandererfamilie, der nie eine Schule abschloss, ein gewaltiges Vermögen angehäuft. Nur ein Mal wurde der US-Investor, der seine Finanzgeschäfte über die nach seinen Töchtern Tracy und Linda benannte Holding Tracinda abwickelt, selbst in großem Stile abgezockt - 1998 bei der Fusion Daimlers mit dem US-Autobauer Chrysler, dessen größter Einzelaktionär Kerkorian damals war. Für den »Zusammenschluss unter Gleichen« erhielt der Investor einen Aufschlag von 28 Prozent auf sein Aktienpaket. Dagegen hätte es bei einer Übernahme ein Plus von bis zu 70 Prozent geben können. Längst ist aber deutlich geworden, dass von gleichberechtigter Partnerschaft keine Rede sein kann. Schon im Januar 2000 trat Chrysler-Chef Bob Eaton aus dem Vorstand zurück - seither leitet Jürgen Schrempp allein den Konzern. In Auburn Hills (Michigan) übernahm ein Vertrauter aus Stuttgart das Steuer, um bei dem US-Autobauer ein rigides Kostensenkungsprogramm durchzuziehen. Offensichtlich war Chrysler für Schrempp - neben den Beteiligungen an Mitsubishi und Hyundai in Asien - nur ein Baustein in seiner Vision von der »ersten Welt AG«. Dummerweise gab dies der Konzernchef in einem Interview im Oktober 2000 auch noch zu. Chrysler sollte Abteilung eines globalen Unternehmens werden, so Schrempp. Aus »psychologischen Gründen« habe man aber einen »Umweg gehen« müssen. Die Bosse in Stuttgart geben sich derweil gelassen. Kerkorian habe von Anfang an alle Informationen über die Fusion erhalten und diese sogar forciert. Er sei nur »beleidigt«, weil im Jahr 2000 sein Vorschlag, mit Hilfe eines Rückkaufprogrammes den abgestürzten Aktienkurs in die Höhe zu hieven, zurückgewiesen wurde. Seit der Übernahme war das DaimlerChrysler-Papier von 90 auf damals 60 Euro abgestürzt - heute liegt es bei 32 Euro. Kurz danach reichte Kerkorian die 8-Milliarden-Dollar-Klage ein, die mittlerweile deutlich reduziert wurde, und begann, seine restlichen Anteile zu veräußern. Bei den Statements aus Stuttgart klingt durch, die Chrysler-Aktionäre sollten Daimler dankbar sein, gutes Geld für einen kriselnden Autobauer bekommen zu haben. Bis heute verhageln die schlechten Ergebnisse aus den USA die Bilanzen des Gesamtkonzerns. Im zweiten Quartal 2003 verbuchte Chrysler einen Verlust von 950 Millionen Euro. Jenseits des großen Teichs sieht man das anders. Die missglückte Fusion mit Daimler sei der Grund vielen Übels. Die kalte Übernahme, kulturelle Differenzen auf Managementebene und der umfangreiche Stellenabbau hätten Chrysler geschadet. Hinzu kommt - seit den großen Bilanzskandalen - ein weit verbreitetes Misstrauen im Land der vielen Millionen Kleinanleger gegen Konzernbosse. Deshalb verbuchte es Daimler als Teilerfolg, dass zumindest kein Geschworenengericht über die Klage entscheidet. Vor einem solchen gab Daimler im Sommer bei einem Musterprozess von Chrysler-Kleinanlegern klein bei und zahlte 300 Millionen Dollar Schadenersatz. Doch auch der jetzige Richter Joseph Farnan sprach bereits von »Betrug« und wird vermutlich kommende Woche Schrempp zum Kreuzverhör zitieren. Beim aktuellen Prozess, der nicht vor Frühjahr 2004 zu Ende gehen soll, sind ganz andere Summen im Spiel. Der Konzern müsste eine Anleihe aufnehmen, die die Schulden noch vergrößern würde. Ein negatives Urteil würde auf den ohnehin längst nicht mehr unumstrittenen Jürgen Schrempp zurückfallen. Dies hat auch Betriebsratschef Jürgen Klemm erkannt, der nicht nur die Fusion mit Chrysler als richtig bezeichnete, sondern auch die Verlängerung des Vertrages von Schrempp über das Frühjahr 2005 hinaus verlangte. Für Kirk Kerkorian geht es um weniger. Dass er vom Daimler-Boss über den Tisch gezogen wurde, mag ihn wurmen - finanziell hat es ihm kaum weggetan. Sein Vermögen ...

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