Gnadenloser Streit um die Reklame-Torte

Die Rywin-Affäre: Kapitulation vor dem Kapital

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor dem Warschauer Bezirksgericht beginnt am Dienstag der mit Spannung erwartete Prozess gegen den Filmproduzenten Lew Rywin. der unter Korruptionsverdacht steht. Eine kriminelle Sache in dicker politischer Sauce.
Lew Rywin ist Produzent so berühmter Filme wie »Schindlers Liste« und »Der Pianist«. Im Juli 2002 soll er dem Verlagshaus »Agora«, das die Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« (GW) herausgibt und am Kauf des privaten Fernsehkanals »Polsat« interessiert gewesen sein soll, für etwa 4 Millionen Euro angeboten haben, ein »Agora« genehmes Mediengesetz unter Dach und Fach zu bringen. So der Vorwurf der Anklage. Erst Ende 2002 wurde eine Tonaufnahme veröffentlicht, derzufolge Rywin in einem Gespräch mit GW-Chefredakteur Adam Michnik gesagt hat, er könne das Geschäft mit Hilfe von »Leuten, die die Macht haben«, erledigen. Das Geld (5 Prozent des »Polsat«-Kaufpreises) sollte in die Kasse des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) fließen, soll Rywin angedeutet haben, auch Premier Leszek Miller sei im Bilde. Der einstige Dissident Adam Michnik, nach der Wende wegen seines Einflusses an der Weichsel auch als »informeller Vizepräsident« bezeichnet, hatte seinen Duzfreund Leszek Miller bereits fünf Tage vor diesem Gespräch wissen lassen, dass Rywin dem Konzern im Namen des Regierungschefs ein solches Geschäft angeboten habe. Bei einer späteren Gegenüberstellung Rywin-Michnik-Miller gab der Filmproduzent zu, dass nicht Miller ihn zu Michnik geschickt habe. Die GW brachte die ganze Geschichte am 27. Dezember 2002 - über fünf Monate nach dem Geschehen - ans Tageslicht. Da wussten schon Hunderte von Personen in Warschau von dem misslungenen Korruptionsversuch. Aber niemand, weder der Premier noch der ebenfalls informierte Staatspräsident, noch andere bekannte Persönlichkeiten kamen auf die Idee, die Staatsanwaltschaft davon zu unterrichten. Selbst der Justizminister war damit einverstanden, dass zuerst die »Gazeta Wyborcza« den Fall durch ihre journalistischen »Untersuchungen« erhellt und die bewussten »Leute, die die Macht haben«, ermittelt. Man ließ also Michniks Zeitung den Vortritt. Fast zeitgleich mit der verspäteten Eröffnung des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens gegen Lew Rywin nahm am 10. Januar ein Untersuchungsausschuss des Parlaments seine Arbeit auf. Doch auf die Frage, wer denn zu jenem »Kreis der Machthaber« gehöre, hat der Ausschuss bisher keine einheitliche Antwort gefunden. Wohl aber hat das zerstrittene Gremium den Hintergrund der Arbeiten am Mediengesetz aufgehellt. Über 50 Zeugen, Politiker, Medienberater, Rechtsexperten, Verleger und private Fernsehlizenzinhaber, äußerten sich zum Zustandekommen der Gesetzesvorlage - absolut widersprüchlich. War die Regierung Miller im Juli 2002 bereit, einen Kompromiss mit den »Privaten« einzugehen, um Verlegern großer Tageszeitungen (vor allem dem US-amerikanisch finanzierten »Agora«-Haus) den Erwerb privater Fernsehstationen zu ermöglichen, oder nicht? Das ist die Hauptfrage, die immer wieder gestellt wird. Wenn ja, hätte der Gang Rywins zu Michnik überhaupt keinen Sinn gehabt. Wenn nicht (und das versuchen Oppositionsvertreter im Ausschuss zu belegen), wäre der Verdacht erhärtet, dass die privaten Medienbesitzer durch die SLD-Regierung benachteiligt werden sollten. Damit aber wird sich der heute beginnende Prozess kaum befassen. Das Verfahren ist nur eine Episode im Kampf um die Beherrschung des elektronischen Medienmarktes. Wie in anderen »postkommunistischen« Staaten wollen die bürgerlichen Parteien, will das Kapital, unter der Losung der Freiheit des Wortes dem öffentlichen Fernsehen den Garaus machen. Man bezichtigt es der Regierungshörigkeit (aber erst, seit die »Postkommunisten« regieren) und versucht, ihm den Zugang zur süßen Torte der Werbeeinnahmen zu versperren. Jene, die bereits den Zeitungsmarkt beherrschen, wollen ihre Dominanz auf die elektronischen Medien ausdehnen. Jede Stimme für die öffentliche Fernsehanstalt TVP oder gar für deren Stärkung gilt der bürgerlichen Opposition als Verrat an der Demokratie - und die Regierung des SLD, von der Opposition wegen angeblich dubioser Geschäfte angegriffen, verhält sich dazu zweideutig.
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