Nur was im Kopf ist, zählt

Über 70 namhafte Frauen aus Politik und Gesellschaft gegen eine »Lex Kopftuch«

In einem Aufruf mit dem Titel »Religiöse Vielfalt statt Zwangsemanzipation!« haben über 70 gesellschaftlich engagierte Frauen, darunter Politikerinnen von Bündnis90/Grüne, CDU, FDP, PDS und SPD, gegen ein Kopftuch-Verbot im öffentlichen Dienst und für eine differenzierte Haltung im Streit darüber plädiert.

Manchmal ist auch der Ort einer Pressekonferenz symbolisch. Fünf der Erstunterzeichnerinnen des »Aufrufs wider eine Lex Kopftuch« hatten ganz in der Nähe des Bundestages in die Bibliothek des Prominentenlokals »Tucher« am Pariser Platz gebeten. Wir lassen uns unter dem Bild der »Minerva« fotografieren, weil sie die Schutzgöttin der Weisheit ist, erläuterte Marieluise Beck, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
Dass es daran den Vorstößen mangelt, muslimischen Frauen das Tragen eines Kopftuchs an Schulen oder sogar im gesamten öffentlichen Dienst zu verbieten, machten die Frauen zum Teil drastisch deutlich. In den ersten Gesetzentwürfen - sie stammen aus Baden-Württemberg und Bayern - werde das auch im »Kopftuch-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts bekräftigte Gebot der Gleichbehandlung aller Religionen missachtet, betonte die grüne Politikerin. »Das Entscheidende ist nicht, was Frauen auf dem Kopf, sondern im Kopf haben«, sagte Marieluise Beck.

Gratwanderung, schwierig aber unverzichtbar
»Islamisten verdienen kein Pardon und haben auch in der Schule nichts zu suchen«, stellte sie klar. Aber Frauen, die das Kopftuch aus religiösen Gründen oder Tradition tragen, »sollten wir nicht ausgrenzen, sondern einbinden«, fügte sie hinzu. Das sei eine schwierige Gratwanderung, aber unverzichtbar. Denn auf Ausgrenzung warteten die Fundamentalisten ja geradezu.
Ihr gehe es gar nicht so sehr um das Kopftuch, sondern um Zwang und Verbieten, sagte die langjährige Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John, neben Bundestagspräsidentin a.D. Rita Süssmuth dritte Initiatorin des Aufrufs. »Wenn uns nichts Besseres als das Grundmuster der Mullahs einfällt«, so die CDU-Politikerin, führe das zur Dämonisierung und Verteufelung des Islam, dem Aufbau von Feindbildern. Sie registriere in Berlin bereits Anzeichen für »eine Art Versiegelung«: Junge muslimische Frauen, die durchaus selbstbewusst ein Kopftuch tragen, bekommen nicht einmal mehr Praktikumsplätze in der Alten- und Krankenpflege.
»Nicht das Kopftuch ist das Problem, sondern diejenigen, die ein Politikum daraus machen«, hob die Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan hervor. Sie äußerte die Befürchtung, dass nach dem Kalten Krieg zwischen Ost und West sowie dem Nord-Süd-Konflikt um Ressourcen nun ein Kampf der Kulturen ausbricht. Sie verwies darauf, dass in England das Kopftuch der muslimischen Polizistin ebenso selbstverständlich ist wie ein Turban zur Uniform. Keine Muslima wolle mit dem Kopftuch missionieren, sagte sie, sondern Demut vor dem Allerhöchsten oder auch nur Verbundenheit zur Heimat und deren Traditionen bekunden.

Erschrocken über Ausmaß von Aggressivität und Hass
Sie sei erschrocken über die Vehemenz des Kopftuch-Streits, darüber, welches Potenzial von Aggressivität und Hass gegenüber Andersartigkeit darin zum Ausdruck kommt, sagte Elisa Klapheck, Chefredakteurin von »jüdisches berlin«. »Wir können nicht den Islam als das Böse ausgrenzen«, betonte sie und berichtete von zahlreichen Anrufen gerade junger muslimischer Frauen in der Redaktion nach dem ersten Terroranschlag in Istanbul. »Diese Menschen sind unsere Zukunft.«
Weil das Kopftuch eben nicht Symbol für nur eine Auffassung ist, darf man seiner Trägerin auch keinen Islamismus unterstellen, betonte die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Wieso unterstelle man Extremismus nicht auch »Männern mit langen Bärten«? Sie erinnere die ganze Diskussion an die über den Extremistenerlass der 70er Jahre. Wie von ihm wäre auch von einem Kopftuch-Verbot der gesamte öffentliche Dienst betroffen, betonte die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Angelika Graf. Damit arbeite man nur jenen »islamistischen Kräften in die Hände, die mit unserem Staat nichts zu tun haben wollen«. Angesichts der Tatsache, dass die CSU in Bayern das Kopftuch per Gesetz verbieten wolle, obwohl im Lande keine einzige Lehrerin damit unterrichten will, forderte sie »mehr Gelassenheit«. Da eine »Lex Kopftuch« nur Frauen träfe, sei für sie unbegreiflich, wie Feministinnen das unterstützen können.

Aufruf und Liste der Unterzeich...

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