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Kein SPD-Knickser bei Tarifautonomie

Fünftägige Mahnwache von Gewerkschaftern vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin

  • Uwe Witt
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Mahnwachen vor den Zentralen der großen Parteien in Berlin protestieren Gewerkschafter seit Montag gegen eine Einschränkung der Tarifautonomie. Nach einer Kundgebung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der IG Metall bezogen etwa 20 Gewerkschafter vor der SPD-Zentrale Stellung. Dort harren sie bis zum 5. Dezember aus. Danach wird fünf Tage vor dem CDU-Haus gewacht.
Die Polizei scheint von Gewerkschaftern weit weniger zu befürchten als von Attac. Als knapp sechs Wochen zuvor rund 60 Attacis vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin gegen die Hartz-Reformen demonstrierten, stand immerhin eine Hundertschaft Polizei bereit. Gestern fand sich nur eine Hand voll Ordnungshüter, um die Bundeszentrale der SPD vor den rund 500 IG Metall- und ver.di-Mitgliedern des Bezirks Berlin-Brandenburg zu schützen. Mehr waren auch nicht nötig, denn die Demo unter dem Motto »Zukunft gestalten - Tarifautonomie erhalten - Finger weg von unseren Tarifverträgen!« verlief in der Spätherbstsonne gewohnt friedlich: Ein rotweißgelbes Fahnenhäufchen und fröhliche Gesichter, dazu nette Kaufhausmusik aus der Konserve zum Einstimmen. Der Form nach vorweihnachtlich war die Aktion dem Inhalt nach wenig versöhnlich. Günther Waschkuhn, ver.di-Vizechef Berlin-Brandenburg, redete Klartext: Die Arbeitgeberverbände wollten mit den Angriffen gegen die Tarifautonomie dafür sorgen, dass ein entfesselter Kapitalismus künftig die Arbeitsbedingungen ausschließlich nach Profitinteressen gestalte. Wenn der Flächentarif erst in einzelnen Betrieben durchlöchert wäre, würden Konkurrenten die gleichen Zugeständnisse verlangen. »Dieser Wettbewerb um die niedrigsten Kosten und schlechtesten Arbeitsbedingungen wird dann schönfärberisch "betriebliches Bündnis" genannt«, so Waschkuhn. Der ver.di-Funktionär nahm damit Bezug auf Pläne der CDU/CSU, über den Vermittlungsausschuss Tarifautonomie und Streikrecht einzuschränken. Er unterstrich seine Haltung mit einem Zitat aus einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1991: »Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Abschluss von Tarifverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.« Waschkuhn appellierte an die SPD, nicht vor der CDU/ CSU einzuknicken. »Wer bereit ist, die Tarifautonomie zum Verhandlungsobjekt im Vermittlungsausschuss zu machen, bricht damit die letzten Brücken zur Gewerkschaftsbewegung ab.« Beispiele dafür, wohin schon jetzt der Zug der Deregulierung in den Unternehmen geht, gaben weitere Redner. So schilderte Martina Lembke von Karstadt, dass Verkäuferinnen entgegen Tarifverträgen und mit Verweis auf Wettbewerbsfähigkeit Samstag bis 24 Uhr und auch sonntags arbeiten sollen. Würde der geltende Tarifvertrag gänzlich zur Disposition gestellt, würden sie zudem durch den Verlust von erkämpften Leistungen jährlich rund 3000 Euro Einkommen einbüßen. Klaus-Dieter Förster von Siemens Power Generation berichtete über einen effizienten Betriebsteil mit rund 25 Kollegen, der in Berlin Gasturbinen montiert. Dieser soll nun als Betriebsübergang ausgegliedert werden - selbstverständlich in einen nicht tarifgebundener Betrieb. Dort seien die Kollegen innerhalb einer 40-Stundenwoche kameraüberwacht und müssten Produktionsfehler in ihrer Freizeit »ausbügeln«. Für die Erwerbslosen wies Ulla Pingel vom Bezirks-Erwerbslosenausschuss darauf hin, dass in Berlin hundert Erwerbslosen nur zwei Arbeitsplätze gegenüber stehen. Die IG Metallerin Monika Rex von der Spedition Fliege machte den Geist der Hartz-Reformen mit einem Ausschnitt aus einem Gutachten des Sachverständigenrates der Bundesregierung für Wirtschaftsfragen deutlich. Dort steht die zynische Empfehlung: »Wir brauchen in Deutschland mehr soziale Ungleichheit, um mehr Beschäftigung zu bekommen.« Nach der Kundgebung setzte sich die Demo in Richtung des IG Metallgebäudes in der Alte-Jakob-Straße in Bewegung. Zuvor hinterließ man aber an dem schicken SPD-Schiff aus Glas und Stahl eine Mahnwache, die die Sozialdemokraten vor einem Einknicken im Vermittlungsausschuss warnen soll.
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