Bei Palästinensern überwiegt die Skepsis

Yasser Arafat begrüßt Genfer Initiative, doch in der Bevölkerung ist Hoffnungslosigkeit weit verbreitet

  • Peter Schäfer, Ramallah
  • Lesedauer: 4 Min.
In einer großen Zeremonie wurde gestern in Genf das nach der schweizerischen Stadt benannte inoffizielle Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern vorgestellt.
Nachdem Mitte Oktober ein israelischer Teilnehmer der bis dahin geheim geführten Verhandlungen aus dem Nähkästchen geplaudert hatte, war das Genfer Abkommen in der Öffentlichkeit. Israels Regierung hatte es sofort in schärfsten Tönen verdammt, doch international wächst die Zustimmung. Bei den Organisatoren stapeln sich die Unterstützungsschreiben von Außenministern aus aller Welt. Inzwischen wurden die Macher sogar ins Weiße Haus eingeladen. In Palästina sind die Meinungen geteilt. Präsident Yasser Arafat steht hinter dem Dokument. Aber die palästinensische Bevölkerung sieht die Initiative nüchterner. »Ich bin gegen das Genfer Abkommen.« Maher Kiswani hat eine klare Meinung. »Die Flüchtlinge werden darin gänzlich ausgeklammert«, behauptet der Besitzer eines kleinen Supermarkts in Ramallah. »Das ist ungerecht. Erst wurden sie vertrieben, dann enteignet und jetzt sollen sie einfach vergessen werden.« Den Text des Abkommens hat Kiswani zu Hause, studiert habe er ihn auch. Zu den geplanten Grenzen des künftigen Staates Palästina und zur Aufteilung Ost-Jerusalems kann er aber keine Auskunft geben. »99 Prozent aller Leute haben das Genfer Abkommen überhaupt nicht gelesen.« Darauf will der Computerfachmann Bassam al-Aili jede Wette eingehen. »Die meisten kennen zwar die Hauptpunkte, so wie sie in der Zeitung stehen, aber sonst nichts.« Er selbst nennt den Vorschlag eine gute Basis für künftige Verhandlungen. Am 16.November begannen die Organisatoren des Abkommens, ihren Vorschlag zu publizieren. 40000 Exemplare des Papiers waren den Tageszeitungen beigelegt - anders als in Israel, wo jeder Haushalt das Abkommen im Briefkasten fand. Yasser Abed Rabbo, der Kopf des palästinensischen Verhandlungsteams, stellte den Friedensplan in den Medien vor. Seine Mitarbeiter diskutierten die Inhalte mit Flüchtlingen, Studenten und anderen sozialen Gruppen. Die offizielle Werbekampagne für den Vorschlag, der die Zukunft aller Palästinenser betrifft, sollte allerdings erst am 1.Dezember anrollen. Von einer breiten öffentlichen Präsenz des Genfer Abkommens in den besetzten Gebieten kann vor diesem Hintergrund jedoch noch nicht gesprochen werden. Die im Papier vorgeschlagenen Regelungen sind weitgehend unbekannt. Dennoch demonstrierten vor einer Woche bereits Tausende - mobilisiert meist von der islamistischen Hamas-Bewegung - gegen das Abkommen. Im Prinzip werden meist schlicht die Argumente der Gegner einer Aussöhnung mit Israel wiederholt.Die Umfrage eines Bethlehemer Instituts ergab immerhin, dass 32 Prozent der Palästinenser hinter dem Genfer Dokument, wie es hier genannt wird, stehen. Eine Studie der Najah-Universität in Nablus kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Zahlen können sich jedoch schnell ändern, wenn der Text des Abkommens bekannter wird. »Ungeachtet des Inhalts fehlen dem Dokument drei Voraussetzungen zum Erfolg«, bemängelt Ali Jarbawi, Politologe der Birzeit-Universität, das Verhandlungsgeschick seiner Landsleute. »Das Abkommen wurde vorab nicht öffentlich diskutiert, sondern es ist eine Initiative von halboffiziellen Exministern.« Israel werde es daher leicht fallen, das Papier wegen der erst jetzt einsetzenden Kritik und dem fehlenden Rückhalt zu delegitimieren. »Darüber hinaus ist das Angebot zeitlich unbegrenzt«, sagt Jarbawi weiter. »Da steht, dass die jüdischen Viertel in Ost-Jerusalem zu Israel gehören sollen. Gilt das auch noch, wenn das Abkommen erst in fünf Jahren umgesetzt wird, die Landnahme in der Zwischenzeit aber weiter zugenommen hat?« Und zuletzt fehle eine Alternative, Druck auf Israel. »Wir müssen sagen, was passiert, wenn sie den Friedensvorschlag nicht annehmen.« Zwar nahmen Vertreter der Fatah-Bewegung nach Arafats Billigung doch an der Unterzeichnung des Genfer Abkommens teil, doch insgesamt versagt Fatah die Unterstützung. »Momentan sind die Bedingungen für eine solche Initiative sehr ungünstig«, erklärte Hatem Abdel Qader, Parlamentsabgeordneter und leitendes Fatah-Mitglied. Das israelische Militär verschärft gerade seine Angriffe in den besetzten Gebieten. Die einzige Partei, die voll hinter dem Vorschlag steht, ist die kleine Volkspartei, die ehemaligen Kommunisten. Selbst die Partei Yasser Abed Rabbos, die FIDA, folgt ihrem Vorsitzenden nicht. Nach den vielen gescheiterten Friedensabkommen ist Hoffnungslosigkeit weit verbreitet. Ob sie auch die Kompromissbereitschaft fördert? Peter Suhrani betreibt einen Souvenirladen in Bethlehem, gleich neben der Geburtskirche. Touristen und Pilger, die sich einst zu Tausenden durch die Gassen drängten, kommen schon lange nicht mehr. »Die meisten meiner Nachbarn lassen ihre Türen gleich geschlossen«, erzählt Suhrani. Er will wieder ein normales Leben führen. Dazu muss er aber erstens wieder Geld verdienen, zweitens verlangt er von Israel Bewegungsfreiheit. Das letzte Mal hat er seine Stadt zu Ostern verlassen, als er eine eintägige Genehmigung zum Besuch der Grabeskirche in Jerusalem erhielt. »Wir brauchen den Frieden. Und schaden wird uns das Genfer Abkommen schon nicht.«
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