Die männliche Scheu vor Windeln

Statistisches Bundesamt: Noch immer leisten Frauen Löwenanteil der unbezahlten Hausarbeit

Was machen wir, wenn wir nicht schlafen? Die Zeitbudgeterhebung »Wo bleibt die Zeit?« 2001/2002 vom Statistischen Bundesamt schlüsselt auf, womit die Bevölkerung ihre Zeit verbringt. Ein Ergebnis ist, dass sich die Deutschen mehr der Familie widmen als noch vor zehn Jahren, sagte Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) gestern in Berlin.

Haushalten, Familie versorgen, arbeiten, Freunde treffen, Sport treiben, lernen, fernsehen und das alles innerhalb von 24 Stunden. Wie viel Zeit die Deutschen auf die verschiedenen Tätigkeiten am Tag verwenden, das interessiert nicht nur das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das den Auftrag für die Zeitbudgetstudie an das Statistische Bundesamt gab. In der Erhebung wurden 5400 Haushalte untersucht. »Die Ergebnisse sind eine Fundgrube für Wissenschaftler, Wohlfahrten, Gewerkschafter und Wirtschaftler«, versprach Familienministerin Renate Schmidt. Die erste Untersuchung dieser Art wurde vor zehn Jahren durchgeführt.
Seit 1991/1992 habe die Familie einen höheren Stellenwert für die Menschen eingenommen, fasste Renate Schmidt ein zentrales Ergebnis der Studie zusammen. »Die gemeinsam mit Kindern verbrachte Zeit ist in den alten Bundesländern um eine dreiviertel Stunde auf insgesamt knapp sieben Stunden pro Tag gestiegen; in den neuen Ländern um 1¼ Stunde Stunden auf gut sechs Stunden.« Allerdings seien diese Stunden keine Exklusivzeiten für die Familie, denn nebenher werde der Haushalt erledigt, so die Ministerin. Bei der direkten Kinderbetreuung dominiere wie vor zehn Jahren noch immer die klassische Rollenaufteilung. Männer widmen sich den Kindern knapp 1¼ Stunden, Frauen 2¾ Stunden.
»Oftmals klaffen jedoch Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander«, kritisierte Renate Schmidt. So wünsche sich jeder dritte Vater mehr Zeit für Haushalt und Familie. Wiederum jede vierte Frau möchte mehr Zeit für einen Job haben. Doch Konsequenzen würden daraus nicht gezogen. »Die Scheu der Männer vor feuchten Textilien wie der Windel, Wäsche und Wischlappen bleibt ungebrochen«, konstatierte die Ministerin. Während die Frau für Dinge wie Kinderbetreuung und Hausarbeit jede Woche 31 Stunden aufwende, seien es bei den Männern nur 19,5 Stunden. Doch sie wollte den »schwarzen Peter« nicht nur den Männern zuschieben: Die Rahmenbedingungen für Familien müssten dringend verbessert werden, und auch die Wirtschaft solle sich umorientieren sowie familienfreundliche Arbeitszeiten anbieten. »Wir müssen jungen Menschen ermöglichen, ihre Lebenspläne umzusetzen«, forderte sie.
Weiterhin Unterschiede gibt es beim Aufwand für die Kinderbetreuung in Ost und West. Während Eltern im alten Bundesgebiet sechs Stunden und 50 Minuten mit der Betreuung von Kindern bis zu sechs Jahren zubringen, sind es in den neuen Ländern jetzt sechs Stunden und drei Minuten. Der »West-Vorsprung« muss allerdings nicht freiwillig sein: In Ostdeutschland sind Kita- und Hortangebote besser ausgebaut. Im alten Bundesgebiet arbeiten die Frauen 1,6-mal so viel für Haushalt und Familie wie Männer und in den neuen Ländern 1,4-mal so viel. Vor zehn Jahren waren es 1,8-mal beziehungsweise 1,6-mal. Ursache des veränderten Zahlenverhältnisses ist nicht, dass Männer mehr im Haushalt arbeiten, sondern dass Frauen die aufgewendete Zeitmenge reduziert haben.
Wie groß die Bedeutung der unbezahlten Arbeit im Haushalt ist, untermauerte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Johann Hahlen. Der Wert dieser Arbeit sei - umgerechnet auf den Nettolohn einer Hauswirtschafterin - seit der letzten Studie Anfang der 90er Jahre von 690 auf 820 Milliarden Euro gestiegen. Dies entspreche in etwa der Bruttowertschöpfung der deutschen Industrie und der Bereiche Handel, Gastgewerbe und Verkehr zusammen.
Gleichzeitig haben die Deutschen der Untersuchung zufolge mehr Freizeit als vor zehn Jahren; bei Männern ist das eine halbe Stunde zusätzlich, bei Frauen eine gute Viertelstunde mehr. Damit hat sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern sogar verstärkt. Frauen haben 5¾ Stunden freie Zeit, Männer fast 6¼ Stunden. Etwa ein Drittel der Freizeit - rund zwei Stunden täglich - verbringen die Deutschen vor dem Fernseher. Zugenommen hat erwartungsgemäß seit 1992 die Computernutzung in der Freizeit.

Zahlen und Fakten
Alle Zeitangaben sind die Durchschnittswerte aller Befragten ab zehn Jahre, ob vollbeschäftigt, arbeitslos, Schüler oder Rentner. Mit eingerechnet sind auch Wochenenden und Urlaub.
Die Bevölkerung arbeitet pro Woche 25 Stunden unbezahlt, 17 bezahlt.
18Prozent der Erwachsenen (12 Millionen) sind ehrenamtlich tätig. Jeder fünfte von ihnen hat sogar zwei Ämter.
Für Aus- oder Fortbildung bringen die Menschen etwa eine dreiviertel Stunde pro Tag auf. Betrachtet man nur die 10- bis 18-Jährigen, sind das 3,5 Stunden pro Tag. Über 45-Jährige bilden sich dagegen nur wenige Minuten am Tag.
Kinder allein erziehender Frauen sind nur etwa eine Viertelstunde weniger pro Tag mit ihren Müttern zusammen als Kinder aus Paarhaushalten.
Quelle: Statistisches Bundesamt

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.