nd-aktuell.de / 03.12.2003 / Kultur

Bei Verfemten zu Besuch

Im Kunsthaus Dresden wird die internationale Bildsprache des Sozialismus aktualisiert

Wanda Wieczorek
Bruder, unbekannter Bruder, Bruder, du bist nicht allein. Mit der Arbeit meiner Hände steh ich für dich ein.« Die erste Zeile dieses Jungpionierliedes inspirierte die Kunsthistorikerin Christiane Mennicke, seit April dieses Jahres Leiterin des Kunsthauses Dresden, für den Titel der Ausstellung »Unbekannte Schwester, unbekannter Bruder«, die seit kurzem dort zu sehen ist. Die Schau versammelt zehn zeitgenössische Standpunkte, die eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ikonografien und Traditionen sozialistischer Kunst sichtbar machen. Jenseits aller aktuellen Auseinandersetzungen um das ästhetische Erbe des Sozialismus verschränken sich hier Beispiele z.B. aus Indonesien und Mexiko mit solchen aus Deutschland in einer Weise, die es ermöglicht, eine internationale Bildsprache und heterogene historische Erfahrungen mit der eigenen Geschichte in Verbindung zu bringen und daraus ein produktives Verhältnis auch zur jüngeren deutschen Vergangenheit zu beziehen. Die Dresdnerin Janet Grau zum Beispiel lässt in der Videoinstallation »Rückblick/Re-Viewing« 30 Einwohner der Stadt vor der Kamera Gemälde aus der DDR beschreiben - so wird die damalige Bildsprache in zeitgenössisches Vokabular überführt. An Stelle einer Debatte über den Wert sozialistischer Kunst tritt die sehr persönliche Begegnung, treten Erinnerungen und gegenwärtige Gefühle. Die Gruppe Taring Padi aus Indonesien befasst sich dagegen mit aktuellen politischen Ereignissen seit dem Sturz des Suharto-Regimes 1998. In Dresden sind Poster aus Anti-Gewalt-Kampagnen zu sehen, die die Gruppe gemeinsam mit NGOs und zivilen Gruppen durchführt. In den Drucken vermischen sich traditionelle indonesische mit typisch sozialistischen Darstellungsweisen. Lucy McKenzie aus Schottland wiederum bezieht sich in der Werkgruppe »Global Joy« von 2001 auf das denkmalgeschützte Wandfries von Walter Womacka am Haus des Lehrers in Berlin. Sie übernimmt die figürliche Bildsprache Womackas, führt aber auch Motive ein, die mit Womacka brechen. »Global Joy« öffnet so den Blick auf eine mögliche Adaption des ästhetischen Erbes des Sozialismus für pop- und subkulturelle Bildwelten der Gegenwart. Nicht minder komplex nähert sich die Installation »Sala de Arte Publico Siqueiros« der Hamburgerin Margit Czenki der Thematik. Sie hat den »Sala« besucht, das ehemalige Wohnhaus des berühmten mexikanischen Wandmalers und Aktivisten David Alfaro Siqueiros in Mexiko-Stadt. 1969 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, war das Haus nach dem Tod Siqueiros' 1975 unter der Leitung seiner Ehefrau Angelica Arenal ein Treffpunkt der lateinamerikanischen Linken. Heute beherbergt es das Archiv Siqueiros' sowie einen neuen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst. Drei junge Kuratorinnen arbeiten dort mit dem schwierigen Erbe des widerspenstigen Künstlers und lange Zeit bekennenden Stalinisten, dessen politisch nach wie vor brisante Wandmalereien die mexikanische Verwaltung heute vor der Öffentlichkeit versteckt. In Dresden projiziert Czenki die Arbeitsweise der Kuratorinnen des »Sala« in die Räume des Kunsthauses: Eine Wandmalerei im Stile der von Siqueiros' entwickelten Technik (»polyangularen Malerei«) füllt den gesamten Raum. Eine Fülle von Fotos, Bildern, Textdokumenten und Filmmaterial erzählen aus Leben und Werk des Malers. Die Installation nähert sich seiner aktiven politischen Identifikation mit dem nachrevolutionären mexikanischen Staat an, folgt ihm in die Inhaftierung durch die Regierung eben dieses Staats, dokumentiert seine ungebremste Schaffenskraft selbst im Gefängnis. Aus dieser Zeit stammende Solidaritätspostkarten von Grundschulen in Dresden, die Czenki im Archiv des »Sala« fand. Sie stellen überraschend eine Verbindung zwischen dem Maler und der Stadt an der Elbe her. Czenki konzentriert sich aber nicht völlig auf Siqueiros, sondern versucht, auch die Praxis der Kuratorinnen seines Hauses zu dokumentieren - Itala Schmelz, Pilar Villela und Margara Laborde. Das etwa einstündige Video »This house has a lot of story« veranschaulicht in Interviews, wie sich im Umgang mit der monströsen Ästhetik Siqueiros' neue Perspektiven aus der verdrängten Vergangenheit der politischen Kunst entwickeln lassen. Neben der Archivarbeit öffnen die Frauen das Haus für die zeitgenössische mexikanische Kunst, realisieren Ausstellungen von Künstlern, die mit Siqueiros gearbeitet haben, führen Symposien über öffentliche und politische Kunst durch und schreiben so die Geschichte des toten Meisters für die Gegenwart fort. In Czenkis Arbeit wird deutlich, wie Bildwelten des Sozialismus Bedeutungsveränderungen durchlaufen - aber auch, wie ihre Aktualisierung gelingen und der Umgang mit ihnen unter veränderten Gesichtspunkten fruchtbar werden kann. Auf feinfühlige und komplexe Weise nähert sich die Dresdener Ausstellung dem Erbe der sozialistischen Kunst in einer Zeit, die erst langsam die Zurückweisung aller ästhetischer Zeugnisse der sozialistischen Staaten zu überwinden beginnt. Nach Jahren der Destruktion und Ablehnung scheint im Kunsthaus Dresden die Möglichkeit auf, wie ein behutsam produktiver Umgang mit diesem Erbe angegangen werden kann. Die Schau läuft zunächst bis Mitte Januar und wird dann bis Ende Februar noch erweitert. Im Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8.