Ich trage nur Fakten vor

Gespräch mit Prof. Dr. Franz Ruland, Chef des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger

  • Lesedauer: 8 Min.
ND: Auf die Frage nach der Sicherheit der Renten antworteten Sie Mitte der 90er Jahre dem ND: Die Renten sind kurz-, mittel- wie langfristig sicher. Würden Sie das heute auch noch so sagen?
Ruland: Ja, ohne Einschränkung. Auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung derzeit Probleme hat. Das ist auch kein Wunder nach einer über dreijährigen Rezession. In dieser Phase haben allerdings andere Alterssicherungssysteme, auch private, deutlich mehr gelitten. Der deutsche Aktienindex DAX sank von 8000 auf gut 3000 Punkte. Von Aktiensparplänen oder Aktienfonds redet heute fast keiner mehr. Auch die privaten Versicherungen überstanden den Crash nicht unbeschadet. Der Finanzminister musste jetzt extra das Steuerrecht ändern, damit mehrere Versicherungsunternehmen nicht in noch größere Schwierigkeiten geraten. Den Staat kostet das fünf Milliarden Euro.
Die gesetzliche Rentenversicherung hat vor allem ein Langfrist-Problem - auf Grund der demographischen Entwicklung. Das trifft aber nicht nur die gesetzlichen, sondern auch die anderen Vorsorgesysteme.

Die private Vorsorge ist also keine Alternative zur gesetzlichen, wie häufig suggeriert wird?
Auch die private Vorsorge lebt davon, dass das angesparte Geld wieder »entspart« - vereinfacht gesagt - »flüssig« gemacht werden muss. Und das kann nur mit Hilfe derjenigen geschehen, die über Erwerbseinkommen verfügen. Wenn deren Zahl abnimmt, haben die privaten Systeme die gleichen Probleme. Eine Anlage der Versichertengelder im Ausland hilft da auch nicht weiter, denn Geburtenrückgang und Alterung der Bevölkerung sind Phänomene, die in vielen Ländern zu beobachten sind.

Die monatelange Rentendiskussion hat vor allem die Senioren verunsichert. Womit müssen die knapp zwanzig Millionen Rentner rechnen?
Die Bestandsrentner müssen sich am wenigsten Sorgen machen. Natürlich: Sie haben demnächst den Pflegebeitrag allein zu tragen. Das sollte aber bei einem Beitragssatz von 1,7 Prozent in aller Regel verkraftbar sein. Zudem fällt die Rentenanpassung 2004 aus. Das führt dazu, dass die Kaufkraft der Rentner vorübergehend abnimmt. Wir rechnen aber damit, dass danach die Renten wieder steigen und auch der Aufholprozess in den neuen Bundesländern entsprechend der Lohnentwicklung fortgesetzt wird.
Mehr Sorgen machen mir die Personen, die langzeitarbeitslos und auf Arbeitslosenhilfe angewiesen sind. Für sie wurde die soziale Sicherung schon deutlich abgesenkt, was mit der aktuellen Arbeitsmarktreform weitergeht. Jemand, der beispielsweise zehn Jahre lang auf Arbeitslosenunterstützung angewiesen ist, erreicht in dieser Zeit praktisch nur noch eine Rentensteigerung von 43 Euro. Für viele dieser Fälle ist vorgezeichnet, dass sie im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sein werden.

Kann man noch von einer »sicheren Rente« sprechen, wenn die Zahlbeträge stetig gekürzt werden - nicht nur bei den Neu-, sondern ab 2004 auch bei den Bestandsrentnern?
Es ist nicht zu bestreiten, dass sich die Zahlbeträge reduzieren, weil die Renten 2004 nicht angepasst und der Beitrag zur Pflegeversicherung ab April in voller Höhe von den Rentnern bezahlt werden muss. Bei all der Diskussion um die Kürzungen wird häufig übersehen, dass sich seit 1960 die Rentenlaufzeiten um über 60 Prozent erhöht haben. Das ist ein Wertzuwachs, der in den damaligen Beiträgen gar nicht einkalkuliert war, aber aus den heutigen Beiträgen finanziert werden muss. Deshalb gilt: Auch die jetzigen Sparmaßnahmen dürfen nicht isoliert gesehen werden.

Kurz nachdem 1957 das derzeitige Rentenrecht verabschiedet worden war, sagte man wegen der demographischen Entwicklungen für die Jetzt-Zeit Rentenbeiträge von 27 Prozent und mehr voraus. Das trat nicht ein. Werden solche demographische Prognosen nicht generell überbewertet?
Die Prognosen sind notwendig, um zielgerichtet handeln zu können. Und in der Vergangenheit sind eine ganze Menge Maßnahmen zur Anpassung der Rentenversicherung getroffen worden. Darüber hinaus wurde in der Vergangenheit die natürliche Bevölkerungsentwicklung durch die Zuwanderung überlagert. Zuwanderung kann in Zukunft - darüber sind sich alle einig - das Problem verschieben, es jedoch nicht grundsätzlich lösen. Denn auch diejenigen, die zuwandern, werden älter - und eines Tages Rentner.

Wer trifft eigentlich solche demographischen Voraussagen?
Insbesondere amtliche Stellen - wie das Statistische Bundesamt -, aber auch die Wissenschaft. Ich war beispielsweise Mitglied der Rürup-Kommission. Nach intensivem Gedankenaustausch und wissenschaftlichen Konsultationen entschieden wir uns bei der Bevölkerungsentwicklung für eine mittlere Variante, die uns weder zu pessimistisch noch zu optimistisch erschien. Unserer Ansicht nach wird die Lebenserwartung bis 2030 in bisherigem Tempo weiter ansteigen. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass man 2015 oder 2020 feststellt, dass die Lebenserwartung noch stärker angestiegen ist.

Das freut den Menschen.
Ja, natürlich. Aber es müssen auch die damit einhergehenden Kosten bedacht werden und, wer diese künftig tragen soll und kann: Entweder die Beitragszahler, die aber nicht unbegrenzt belastbar sind. Oder die Rentner, indem das Niveau der monatlichen Rente gesenkt wird, was bei längeren Laufzeiten dann dasselbe Ergebnis bringt. Will oder kann man beides nicht in vollem Umfang tun, dann bleibt letztlich nur übrig, die Rentenlaufzeiten dadurch zu verkürzen, dass die Altersgrenze angehoben wird.

Oder Rentenabschläge einzuführen. Davon waren in diesem Jahr bereits 42 Prozent aller Neurentner betroffen, nicht zuletzt auf Grund von Arbeitslosigkeit im Alter. Die Anhebung der Altersgrenzen ist also derzeit nichts anderes als eine Rentenkürzung - oder sehen Sie das anders?
Das kann man so sehen. Man kann aber auch sagen, dass gegenwärtig versicherungsgemäße Verhältnisse wiederhergestellt werden. Im Moment ist noch die Anhebung der Altersgrenzen von 60 und 63 Jahren auf die angestrebte Regelaltersgrenze von 65 Jahren im Gange. Dieser Prozess wird 2004 weitgehend abgeschlossen sein. Die Rürup- und die Herzog-Kommission schlugen vor, die Altersgrenze auf 67 Jahre anzuheben, allerdings mit sehr langen Übergangsfristen - nach den Vorschlägen der Rürup-Kommission innerhalb des Zeitraums von 2011 bis 2035.
Ich bin mir aber sicher, dass es dann eine ganz andere Arbeitsmarktsituation gibt - schon weil dann sehr starke Jahrgänge in Rente gehen und schwächere Jahrgänge nachwachsen werden. Das wird den Arbeitsmarkt entlasten. Zwar wird es nach wie vor eine relativ hohe Sockelarbeitslosigkeit geben, zugleich nimmt der sich heute schon andeutende Mangel an Fachkräften zu.

Für Unsicherheit sorgt auch die Neuregelung der Rentenbesteuerung. Womit ist zu rechnen?
Ab 2005 werden Bestandsrenten zu 50 Prozent steuerpflichtiges Einkommen sein. Dieser Prozentsatz wird langfristig - über viele Jahre - auf 100 Prozent ansteigen. Für die meisten Versicherten wird sich steuerlich nichts ändern, weil die Freibeträge sehr hoch sind. Anders sieht das allerdings bei Personen aus, die hohe Renten beziehen, weil sie ihr Leben lang mit ihrem Einkommen an der Beitragsbemessungsgrenze lagen, sowie bei denjenigen, die zusätzlich zu ihrer Rente noch über höhere andere Einnahmen verfügen - aus betrieblicher Altersvorsorge, Vermietung, Verpachtung und so weiter. Auf Grund der Steuerprogression werden diese anderen Einkünfte stärker als heute besteuert werden.

Auf dem Prüfstand stehen auch immer wieder die Witwenrenten, Wie ernst ist die Gefahr, dass sie kurz- oder mittelfristig gänzlich wegfallen?
In der Tat wird über diese Frage diskutiert. Die Politik strebt an, die eigenständige Sicherung der Frauen auszuweiten. In dem Maße, wie diese ausgebaut wird, verliert die Hinterbliebenenversorgung an Bedeutung. Ich setze mich aber ganz entschieden dafür ein, die Hinterbliebenenversorgung zu erhalten. Sie wird trotz des Ausbaus der eigenständigen Sicherung künftig notwendig bleiben. Zum einen, weil insbesondere Frauen diejenigen sind, die in der Regel die Kinder erziehen und dadurch eine kürzere Erwerbsbiografie haben als Männer. Zum anderen müssen wir nach wie vor feststellen, dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer. Und wenn die Rentenversicherung eine am Erwerbsleben orientierte Regelsicherung sein soll - und das ist unverzichtbar -, muss sie auch für den überlebenden Ehegatten den innegehabten Lebensstandard dadurch erhalten, dass sie den verwitweten Ehegatten an den Rentenanwartschaften des Verstorbenen beteiligt. Für mich ist auf absehbare Zeit eine Kombination aus Witwen- plus eigenständiger Rente - unter Einbeziehung der Kindererziehungszeiten - unverzichtbar.

Die CSU fordert in ihrem soeben aktuellen Rentenkonzept einen weiteren Umbau des Rentensystems zu Gunsten von Familien mit Kindern. Das wird seit längerem kontrovers diskutiert.
Die Notwendigkeit und Berechtigung eines Familienlastenausgleichs ist unbestritten. Nur über das »Wie« gehen die Meinungen weit auseinander. In der Rentenversicherung findet bereits heute ein erheblicher Lastenausgleich statt. Mit der Anrechnung von drei Jahren Kindererziehungszeiten, der Aufwertung von Pflichtbeiträgen während der Kinderberücksichtigungszeit sowie dem Kinderzuschlag zur Witwenrente können sich zum Beispiel für das erste Kind zusätzliche Rentenansprüche von bis zu 192 Euro monatlich ergeben. Der erziehende Elternteil spart damit in der Erziehungsphase für ein Kind derzeit bis zu 41800 Euro Beitragszahlung.
Generell ist zu sagen: Der Familienlastenausgleich ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und daher aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen der Sozialversi|cherten zu finanzieren. Eine steuerliche Finanzierung ist auch deshalb ohne Alternative, weil nur das Steuerrecht alle Einkommen erfasst - also auch das der kinderlosen Beamten, Selbstständigen, Richter, Abgeordneten sowie Personen, soweit sie über Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze verfügen. Die Rentenversicherung ist in der Generationenfolge eben kein geschlossenes System. Ein aus Beitragsmitteln finanzierter »Binnenausgleich« allein innerhalb der gesetzliche Rentenkasse führt zu erheblichen Ungerechtigkeiten.

Müssen Sie mit all den Einwänden nicht damit rechnen, wieder mal als Bedenkenträger stigmatisiert zu werden?
Ich trage keine Bedenken vor, sondern Fakten.
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