»Wir wollen, dass sie abhauen«

Auch dort, wo die USA-Truppen einst willkommen geheißen wurden, sind sie inzwischen unbeliebt

  • Anton Holberg
  • Lesedauer: 3 Min.
In weiten Gebieten Iraks gilt offenbar in zunehmendem Maße: Es ist ziemlich egal, was die Besatzungsmacht tut - sie wird als Joch, als Erniedrigung empfunden und entsprechend behandelt. Am deutlichsten wurde dies im vergangenen Monat in der drittgrößten Stadt Iraks, dem zwei Millionen Einwohner zählenden Mossul.
Mossul und seine Umgebung galten für die US-Army lange Zeit als sicher. In der Tat war die Invasionsarmee hier ursprünglich von der Mehrheit der Bevölkerung willkommen geheißen worden. Im November jedoch starben mindestens 25 US-amerikanische »Freunde« bei Angriffen von Widerständlern. Das spektakulärste Ergebnis der Widerstandsoperationen war der Absturz zweier Blackhawk-Hubschrauber. Sprecher der Besatzungsarmee und ihre Verbündeten von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) stimmen erwartungsgemäß in der Analyse überein: Oberst Joe Anderson, der in der Stadt 5000 Mann der 101. Luftlandedivision befehligt, behauptet: »Die meisten Irakis sind froh, dass wir hier sind, und kooperieren mit uns.« Er glaubt, dass die Angriffe das Werk von ein paar Hundert Saddam-Hussein-Getreuen sind und dass viele davon aus dem südlich gelegenen »sunnitischen Dreieck« in die Stadt geschickt werden. Auch Mohammad al-Kaki, Chef der örtlichen PUK-Einheiten, schreibt die Attacken Anhängern des gestürzten Regimes zu, die mit Islamisten aus Mossul und anderswoher - auch von außerhalb Iraks - zusammenarbeiteten. Sie alle würden von Saddam Hussein und dessen Vertreter Izzat Ibrahim al-Duri bezahlt. Wer auch immer die Täter sein mögen: Nicht minder bezeichnend als ihre Operationen ist der Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Die »New York Times« zitierte den Feuerwehrmann Waadallah Muhammad: »Die Amerikaner, ja, die tun gute Dinge, aber nur, um ihr Ansehen zu verbessern. Sie sind Besatzer. Wir wollen, dass sie abhauen.« Dabei hatte die Feuerwehr, der Waadallah Muhammad angehörte, seit dem Einrücken der USA-Armee in Mossul neue Fahrzeuge, Uniformen und - nicht zu vergessen - ein zehnmal größeres Gehalt als zuvor bekommen. Überhaupt hatte sich die 101. Division große Mühe gegeben, aus Mossul ein Schaufenster für die vermeintlich guten Absichten der Invasoren zu machen. Sie hatte Straßen, Schulen und öffentliche Gebäude renoviert und neue aufgebaut. Die militärischen Angriffe auf die Besatzer nahmen indes in dem Maße zu, wie denen das Geld für derartige Projekte knapp wurde und die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Stadt und einen Abbau der grassierenden Arbeitslosigkeit schwand. Viele Mossuler hatten ohnehin von Anfang an Grund, gegen die Besetzung zu sein. Ein leitender Beamter der örtlichen Polizei, General Zaid Awni, wies darauf hin, dass die meisten hochrangigen Sicherheits- und Geheimdienstmitarbeiter des Baath-Regimes aus Mossul stammten und seit dessen Sturz keine Gehälter mehr beziehen. Die Widerstandskräfte können demnach mit wachsender Sympathie, wenn nicht gar mit praktischer Unterstützung durch die Bevölkerung rechnen. Diejenigen in Mossul, die die Besatzung nicht grundsätzlich ablehnen, bestehen darauf, dass es noch nicht zu spät sei, die Entwicklung umzukehren. Ihre Hoffnung jedoch, dass das auch geschieht, wird immer geringer. Denn die Antwort der Besatzer auf den wachsenden militärischen Widerstand besteht nicht darin, weiteres Geld für wirtschaftliche und soziale Verbesserungen locker zu machen, sondern darin, mehr Truppen zu schicken und härter durchzugreifen. Durchgreifen aber bedeutet Festnahme und brutale Behandlung von immer mehr »Verdächtigen«, in vielen Fällen völlig Unbeteiligten. Einer dieser Fälle, die großen Unmut hervorriefen, war der des Geistlichen Abdul Satar al-Jawiri. Die Besatzer warfen ihm vor, in seinen Predigten zum Angriff auf US-Amerikaner aufgerufen zu haben, und führten ihn in Handschellen mit einem Sack über dem Kopf und unter Schlägen ab. Bald aber mussten sie ihn wieder freilassen, weil die Hausdurchsuchung bei ihm nichts ergeben hatte. Eine scheinbar einfache Lösung haben die kurdischen Nationalisten. PUK-Kommandeur al-Kaki beklagt sich, dass die Besatzungsmacht seinen Leuten verbiete, in der Stadt Waffen zu tragen. Die schweren Waffen habe man ihnen sogar abgenommen. »Wenn die Amerikaner uns unsere Waffen wiedergeben, garantieren wir, dass keine Amerikaner mehr getötet werden«, verspricht al-Kaki. In Wirklichkeit würde diese »Lösung« dem Morden nur eine ethnische Komponente hinzufügen und die Einheit Iraks auf Dauer belasten.
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